Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
studieren.
Czernyk ließ sie nicht aus den Augen. Er war Punkt acht Uhr erschienen, hatte sein Jackett über den Stuhl gehängt und ihr zur Begrüßung die Hand gegeben.
»Haben Sie Hunger?«, fragte er.
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
Sie legte die Karte beiseite. Ihre Blicke kreuzten sich, ruhig sah er sie an, ohne das geringste Zeichen von Unsicherheit.
»Also«, wiederholte sie und spielte an ihrer Halskette, »was genau wollten Sie mir sagen?«
Der Fahrstuhl öffnete sich, ein Kellner erschien und brachte die Getränke, ein Glas Weißwein für Frieda Borck, eine Cola für Jan Czernyk.
»Es gibt da etwas, das Sie wissen müssen, Frau Borck. Es betrifft Ihre Ermittlungen. Genauer gesagt, handelt es sich um den Laptop, den ich untersucht habe.«
»Okay«, nickte sie und griff zu ihrem Wein. »Ich höre.«
Er trank einen Schluck Cola.
»Ums kurz zu machen: Ich glaube, dieser Priester ist unschuldig.«
Das Weinglas stoppte wenige Zentimeter vor dem Mund der Staatsanwältin.
»Was?«
»Ich sagte, dass ich den Priester …«
»Ich habe verstanden, was Sie gesagt haben, Herr Czernyk.«
»Jan.«
»Was?«
»Nennen Sie mich Jan.«
Da war er wieder, dieser leise, geschäftsmäßige Ton, keinen Widerspruch duldend.
»Hören Sie, Jan .« Sie nahm einen tiefen Schluck, es klirrte leise, als sie das halbvolle Glas auf dem Tisch abstellte. »Die Lage ist mehr als eindeutig, Wir haben drei tote und einen verschwundenen Teenager. Ein fünfter wäre fast ermordet worden, von ebendiesem Pastor Giese. Alle fünf sind früher missbraucht worden, er hatte die Filme auf seinem Computer. Wie können Sie da behaupten, er wäre unschuldig?«
»Der Mann hat diese Videos nie gesehen.« Czernyks schwarze Augen glänzten. »Geschweige denn, eins davon gefilmt.«
Sie saß vor ihm wie das Kaninchen vor der Schlange.
»Wie … wie können Sie das wissen?«
»Sämtliche Filme befinden sich in einem einzigen Ordner. Es lässt sich leicht feststellen, wann dieser Ordner angelegt wurde. Das war am elften August. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Sie rechnete nach. Dann nickte sie: »Da lag der Priester schon einige Stunden im Koma.«
»Allerdings. Jemand anders muss die Filme auf seine Festplatte überspielt haben. Wahrscheinlich, um ihn zu belasten. Ich ärgere mich, dass ich das nicht früher festgestellt habe.«
»Fuck«, entfuhr es ihr.
Er lachte leise. Ein tiefes, angenehmes Lachen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie fluchen können, Frau Staatsanwältin.«
Sie lachte ebenfalls. Kurz nur, dann wurde sie wieder ernst.
»Und was soll ich jetzt machen?«
»Ich denke, Sie müssen noch einmal von vorn anfangen.«
»Das hab ich heute schon irgendwo gehört.«
Die Musik hatte gewechselt, ein langsamer, schwermütiger Blues drang aus den Boxen. Sie nahm ihr Glas und hielt es gegen die Kerze.
»Wieso haben Sie eigentlich mich angerufen? Und nicht Zorn?«
Das Licht flackerte, schimmerte durch den klaren Wein. Wie Bernstein.
Er beugte sich über den Tisch und nahm ihre Hand. Drückte sie kurz. Seine Finger waren warm und trocken. »Das weißt du.«
»Weiß ich das?«
»Ich wollte dich sehen, Frieda.«
*
ich wünschte, es wäre anders, aber es geht noch weiter, der tanz hat noch nicht einmal begonnen – ich habe es angefangen und ich werde es beenden, auch wenn es weh tut
und das wird es
o ja, das wird es
*
Die Sonne war untergegangen, ein letzter rötlicher Schimmer hing über dem Mansfelder Land. Kein Lüftchen wehte, die Windräder standen still, als wären sie am Horizont festgefroren.
Zorn hatte einen Sessel ans Fenster geschoben und zählte die Flugzeuge, die sich von Westen in einer Linie näherten und zum Landeanflug ansetzten. Es waren vier, das letzte war kaum zu erkennen, nur die Positionslichter blinkten in der Dämmerung.
Er hatte geduscht, das nasse dunkle Haar hatte er glatt nach hinten gekämmt. Auf dem Fensterbrett stand ein Glas Rotwein, er aß ein hartgekochtes Ei, hörte eine Metallica-Platte und dachte an nichts.
Unten, vierzehn Stockwerke tiefer, näherten sich die raschen Schritte einer jungen Frau auf dem Fußweg. Ihre Absätze klapperten über den Beton. Vor dem Eingang blieb sie stehen. Ihr Zeigefinger wanderte über das Klingelschild, es dauerte eine Weile, bis sie den Namen gefunden hatte.
C. ZORN
Sie zögerte. Sah sich um.
Die schmutzige Haustür öffnete sich von innen, ein dünner, unrasierter Mann mit fettigem Haar und ausgebeultem Trainingsanzug kam heraus, er schob einen
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