Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Herr Kalze, spitzte die Lippen und blies einen perfekten Rauchring in die laue Nachtluft. Sie stinkt. Nach Schweiß und diesem widerlichen Parfum, seit über vierzig Jahren benutzt sie dasselbe. Kölnisch Wasser, dieser Gestank wird mich irgendwann umbringen.
Nebenan, im Nordbad, sprang eine Pumpe an. Aus der Laube erklang das leise Schnarchen seiner Frau. Er lehnte den Kopf an die Wand und sah hinauf in den Himmel. Die Nacht war klar, er konnte jeden einzelnen Stern erkennen, es mussten Millionen sein.
Das werde ich öfter machen, überlegte er. Ich stehle mich nachts aus dem Bett, setze mich hier auf die Bank und rauche. Am besten Pfeife, diesen Geruch mag sie noch weniger. Genau, ich besorge mir eine Pfeife. Ich muss nur einen Ort finden, an dem ich sie tagsüber verstecken kann. Es ist schön, wenn alles so still ist. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Ich muss nur leise sein, aufpassen, dass sie nicht wach wird. Den verlorenen Schlaf kann ich ja tagsüber nachholen, ich werde ihr einfach sagen, dass ich ab jetzt immer ein Mittagsschläfchen halten werde.
Sofort begann er zu rechnen. Im Herbst wurde er dreiundsiebzig. Wenn es gut lief, hatte er noch zehn, fünfzehn Jahre vor sich. Das waren ungefähr fünfeinhalbtausend Tage. Wenn er ab jetzt tagsüber zwei Stunden schlief und nachts eine Stunde wach war, blieben ihm insgesamt drei Stunden, die er allein, ohne seine Frau, verbringen konnte. Insgesamt sechzehneinhalbtausend Stunden Ruhe.
Das klang verlockend.
Er seufzte, als ihm einfiel, dass er ja nur den Sommer über hier im Garten war, für den Winter musste er sich natürlich etwas einfallen lassen. Aber was?
Eine Sternschnuppe glühte auf, zog quer über den nächtlichen Himmel und war im nächsten Augenblick verloschen. Herr Kalze fuhr sich mit den Fingern durch den dünnen Schnurrbart und wünschte, dass in den nächsten fünfzehn Jahren nur noch Sommer wäre.
Er wusste, dass es sinnlos war, aber es war ein schöner Gedanke. Schließlich konnte er sich schlecht wünschen, dass dieses unförmige Etwas, diese Frau, die er vor über fünfzig Jahren einmal geliebt haben musste, einfach liegen blieb und nie wieder aufstand. Oder?
Egal, morgen muss ich erst mal den Rasen mähen, dachte er und stand ächzend auf. Streckte den Rücken, gähnte und nahm einen letzten Zug von der Zigarre. Dann schlich er ins Haus, spülte den Mund sorgfältig aus und legte sich neben seine dicke Frau.
Hundert Meter entfernt knurrte ein Hund in einer verlassenen Laube. Das Bündel unter der Plane bewegte sich und gab ein leises Röcheln von sich.
Herr Kalze hörte es nicht.
*
»Nun, meine Herren. Wie machen wir weiter?«
Frieda Borck trug ein kurzärmeliges Kleid aus hellem Leinen. Es war heiß im Büro, Zorn schwitzte aus allen Poren und auch dem dicken Schröder, der neben ihm saß, klebte das Haar an der Glatze. Die Staatsanwältin hingegen sah frisch aus, als käme sie direkt aus der Dusche. Auf der Uhr hinter ihrem Schreibtisch war es kurz nach halb zehn.
»Seit dem ersten Mord sind gut zwei Wochen vergangen«, fuhr sie fort, »mittlerweile gibt es zwei weitere Opfer, dazu kommen ein komatöser Priester und ein verschwundenes Mädchen. Trotzdem sind wir keinen Schritt weiter. Ich fürchte, wir müssen noch einmal ganz von vorn anfangen.«
Was du nicht sagst, dachte Zorn und schlug das linke Bein über das rechte.
Frieda Borck wartete einen Moment. Als Zorn schwieg, sagte sie: »Der Tod Eric Haubolds ändert den Sachverhalt grundlegend. Pastor Giese kommt hier als Täter nicht in Frage. Die Presse zerreißt sich seit Tagen das Maul, langsam brauchen wir konkrete Ergebnisse. Wir müssen überlegen, ob wir es mit mehreren Mördern zu tun haben.«
»Das haben wir bereits gestern durchgekaut, Frau Staatsanwältin.«
»Ach, haben Sie das?«
»Im Waldkater«, ergänzte Schröder. »Es gab Schnittchen.«
»Dürfte man die Herren fragen, zu welchem Ergebnis Sie dabei gekommen sind?«
»Das Ergebnis war«, Zorn streckte die Beine aus, »dass wir noch einmal von vorn anfangen müssen.«
»Aber die Schnittchen waren prima«, warf Schröder ernst ein.
Frieda Borck zuckte mit keiner Miene. »Dann scheint sich Ihre Besprechung ja gelohnt zu haben.«
Zorn griff sich einen Kugelschreiber vom Tisch der Staatsanwältin, drehte ihn in der Hand und begann damit herumzuspielen. »Wir warten noch auf den Bericht von Kriminalhauptkommissar Czernyk.«
»Denken Sie, dass das was bringt?«, fragte die Staatsanwältin.
»Das
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