Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
leeren Kinderwagen vor sich her. Die junge Frau machte ihm Platz, ohne geklingelt zu haben.
Mit einem leisen Knall schloss sich die Tür.
Malina wartete noch einen Moment.
Dann ging sie wieder davon.
Sechsundzwanzig
Das Erste, was sie sah, waren die Gardinen, die sich sacht vor dem Fenster bewegten. Sie blinzelte verwirrt, dann hörte sie die regelmäßigen Atemzüge des Mannes, der neben ihr schlief.
Langsam wurde sie wach, und jetzt erinnerte sie sich, dass sie irgendwann hinunter in den kleinen Saal mit der Bühne gegangen waren, sie hatten Sekt getrunken und getanzt. Später hatte er sie gefragt, ob sie mit zu ihm ins Hotel kommen wolle. Da hatte Frieda Borck nur genickt. Schließlich hatte die Frage bereits eine ganze Weile unausgesprochen im Raum gestanden und für sie, die Staatsanwältin, war es längst beschlossene Sache gewesen. Eigentlich seit dem Moment, als Jan Czernyk den Club betreten hatte.
Sie richtete sich auf, stützte den Kopf auf den Ellenbogen und sah ihn an.
Er lag auf der Seite, die Beine hatte er angezogen. Sein Gesicht war ernst, die Stirn hatte er leicht gerunzelt, als müsse er sich sogar im Schlaf konzentrieren.
Sie bemerkte, wie lang seine Wimpern waren. Fuhr mit den Fingerspitzen über die dunkel glänzende Haut seines Oberarmes und lächelte, als sie registrierte, wie ordentlich er seine Sachen am Fußende des Bettes abgelegt hatte.
Dann küsste sie ihn sacht hinter das Ohr.
Er grinste, ohne die Augen zu öffnen. Sie bemerkte den Abdruck, den das Kissen auf seiner Wange hinterlassen hatte.
»In zwei Stunden geht mein Zug, Frieda.«
»Du wirst vorher noch einmal mit mir schlafen müssen.«
»Ich müsste mir die Zähne putzen.«
»Scheiß drauf, Jan Czernyk.«
In der folgenden Stunde sagten sie nichts. Es gab Wichtigeres zu tun.
*
Zorn stand im Bad, kämmte sich lustlos die Haare und betrachtete dabei sein Spiegelbild. Schlaftrunken überlegte er, woran ihn das Gesicht dieses alten Mannes erinnerte, dann, als es ihm einfiel (ein ungewaschenes, zerknittertes Kopfkissen), klingelte sein Handy. Frieda Borck rief an.
Zehn Minuten später saß er im Volvo und war unterwegs zum Präsidium.
*
»Und das ist hundertprozentig sicher?«
»Natürlich.« Die Staatsanwältin reichte Zorn eine dünne Akte über den Tisch. »Hier ist der vollständige Bericht von Kriminalhauptkommissar Czernyk. Die Filme sind erst überspielt worden, nachdem Giese bereits im Krankenhaus lag.«
Er öffnete die Mappe. Zu seiner Verwunderung sah er, dass Czernyk seinen Bericht handschriftlich verfasst hatte, in engen, akkurat geschriebenen Großbuchstaben. Frieda Borck nahm ihm die Mappe aus der Hand. Die Uhr hinter ihrem Schreibtisch tickte leise.
»Sie lesen’s ja eh nicht, wie ich Sie kenne.«
Zorn ignorierte den Seitenhieb und fragte: »Wieso hat sich Czernyk nicht direkt bei mir gemeldet?«
Sie setzte zu einer Antwort an, doch die Tür ihres Büros öffnete sich und Schröder erschien. Er nahm einen Stuhl, setzte sich neben Zorn und wischte die Hände an den Hosenbeinen ab.
»Guten Morgen, Kollegen«, sagte er fröhlich. »Gut geschlafen, hoffe ich?«
Zorn schwieg.
»Sehr gut sogar«, erwiderte Frieda Borck und verstaute Czernyks Bericht in einer Schublade.
»Sie sehen ein klein wenig übernächtigt aus, Frau Staatsanwältin«, meinte Schröder. »Wenn die Bemerkung gestattet ist.«
»Das ist sie nicht, Kollege Schröder.«
Zorn warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu. Übernächtigt wirkte sie überhaupt nicht, im Gegenteil, fand er. Ihre Augen strahlten, die Wangen waren rosig. Sie sah gut aus.
Zu gut, stellte er nach kurzem Überlegen widerwillig fest.
»Also«, begann Frieda Borck, »die Lage hat sich grundlegend geändert.«
»Ich weiß Bescheid«, nickte Schröder.
Zorn richtete sich auf. »Woher, wenn man fragen darf?«
»Kommissar Czernyk hat mich vorhin angerufen.«
»Ach!« Zorn schniefte beleidigt. »Dich auch?
»Warum sollte er denn nicht, Chef?«
»Weil ich hier offensichtlich der Einzige bin, der nicht auf dem Laufenden gehalten wird! Ich dachte, ich wäre es, der hier die Ermittlungen leitet!«
Schröder starrte ihn verständnislos an, die Staatsanwältin beugte sich vor und fragte lauernd: »Sie sind doch nicht etwa eifersüchtig?«
»Blödsinn!«, blaffte Zorn.
O Gott, die denken tatsächlich, ich wär sauer, dachte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Scheiße, aber ich bin’s wirklich! Ich bin verletzt, eingeschnappt wie eine alte Jungfer!
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