Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Pumpenhaus sprang ein Aggregat an. Der Schwan hob den Kopf und spreizte die Flügel.
Max trat einen Schritt zurück, als wolle er Anlauf nehmen.
Dann schlug er zu.
Einunddreißig
Sie hat keine Ahnung, wie lange er jetzt fort ist. Das ist auch nicht wichtig, Zeit spielt schon lange keine Rolle mehr. Sie ist in einer anderen Realität, einer Welt, in der es kein logisches Denken gibt, keinen Überlebenswillen, nur noch Instinkte. Und den Drang, dass es endlich aufhört. Deshalb muss sie hier weg. Schnell, bevor Max (oder das, was von ihm übrig ist) wiederkommt.
Ihr Atem geht flach, sie hat Fieber. Die Muskeln in ihren Beinen werden nicht gehorchen, das weiß sie. Aber sie kann auf allen vieren kriechen, diesen Ort verlassen und wenn das geschafft ist, wird man sie vielleicht finden. Das ist ihre einzige Chance.
Sie nimmt alle Kraft zusammen, hebt den Kopf und sieht nach links. Das, was von ihrer Hand übrig ist, liegt auf dem Boden, reglos, fremd, als würde es nicht zu ihrem Körper gehören. Den Nagel kann sie kaum erkennen, es flimmert vor ihren Augen wie in einem surrealen Film.
Sie versucht die Hand zu bewegen, nichts passiert. Ihr Hirn sendet den Befehl, doch das Signal erreicht die Muskeln nicht. Ein zweiter Versuch, die Hand zuckt. Augenblicklich folgt der Schmerz, wandert über den Arm in den Kopf und explodiert als weißes Licht.
Sie sackt zurück. Öffnet den Mund, um zu schreien, doch mehr als ein klägliches Wimmern bringt sie nicht heraus.
Weit, weit hinten in ihrem Kopf reift ein neuer Gedanke. Sie muss sich bemerkbar machen, irgendwie. Schreien kann sie nicht, aber vielleicht geht es anders? Die linke, aufgespießte Hand ist nutzlos, aber die rechte lässt sich bewegen.
Sie hebt den Arm, lässt ihn fallen.
Klack.
Die Handschelle landet neben der Matratze auf dem Holzboden. Das Geräusch ist deutlich zu hören, aber viel zu leise. Sie hebt den Arm höher.
KLACK.
Etwas lauter. Nicht viel, aber besser als nichts.
Martha Haubold runzelt die Stirn, fokussiert sich auf das, was von ihrem Verstand übrig ist. Hundertmal wird sie klopfen. Bis hundert zählen, danach wird sie aufgeben. Sie beißt die Zähne zusammen und bewegt den Arm nach oben.
Eins.
Es tut weh.
Zwei.
Die Hand blutet wieder, aber sie macht weiter. Sie hat sich eine Aufgabe gestellt, wahrscheinlich ist es die letzte in ihrem Leben. Sie konzentriert sich darauf.
Drei.
Und zählt.
*
Peter Brandt hing kopfüber im Geäst einer dicken Rotbuche.
Er war nackt. Fast jedenfalls, denn die Socken hatte er noch an, Kniestrümpfe aus schwarzem Nylon. Um die dürren Waden wand sich ein Strick, dessen anderes Ende um einen kräftigen Ast gewickelt war. Die Hände des Bibliothekars waren auf dem Rücken gefesselt, in seinem Mund steckte ein Knebel.
Die Buche wuchs direkt an der Rückseite des Pumpenhauses, umgeben von dichtem Strauchwerk. Rund um den Stamm war der Boden weniger bewachsen, in einem Umkreis von drei, vier Metern hatte sich eine kleine, mit dürrem Gras und abgestorbenem Laub bedeckte Lichtung gebildet. Ein ideales Versteck, nur ein paar Schritte vom Ufer des kleinen Sees entfernt und doch kaum zu entdecken.
Der Bibliothekar kniff die Augen zusammen und versuchte sich zu orientieren. Er war jetzt vollständig nüchtern, trotzdem hatte er keine Ahnung, was hier geschehen war. Seine Brille war heruntergefallen und lag unter ihm im Gras. An der Stirn, da, wo er den Schlag erhalten hatte, bildete sich eine schmerzhafte Beule. Das Blut sammelte sich in seinem Kopf, die Beinmuskeln ächzten unter dem Gewicht seines Körpers, der Strick, eine mit blauem Plastik ummantelte Wäscheleine, schnitt ihm tief in die Knöchel.
Das war nicht alles. Er hing nicht allein im Baum.
Sein Körper wurde an etwas Weiches, Haariges gepresst, es roch muffig, wie schmutzige Wäsche oder eine alte Decke.
Peter Brandt verkrampfte sich.
Nein, nichts dergleichen, das war etwas Lebendiges. Es bewegte sich, er spürte die Wärme, das Zucken der Muskeln unter dem Fell.
»Das ist dein Geschenk, Papa. Ein Hund, du hast dir doch immer einen gewünscht.«
Max hockte auf einem Baumstumpf und sah zu seinem Vater auf. Er hielt eine dünne Stahlrute in den Händen.
»Ich hab eine kleine Party für dich vorbereitet, freust du dich?«
Auch der Hund hing mit dem Kopf nach unten, er wehrte sich nicht, wirkte apathisch. Das Seil um die Hinterläufe war etwas länger, seine feuchte Schnauze berührte den Hals des Bibliothekars. Das war
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