Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
Vom Netzwerk:
dahinter lag eine steile, mit Birken und Kiefern bewachsene Anhöhe.
    Das letzte Grundstück wurde von einer hohen Ligusterhecke begrenzt. Stirnrunzelnd stellte Herr Kalze fest, dass sie dringend geschnitten werden musste. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, bog die Zweige auseinander und warf einen Blick in den dahinter liegenden Garten. Seine Miene verfinsterte sich.
    Der Rasen stand fast einen halben Meter hoch, Brennnesseln wucherten auf den Beeten, eine verrostete Regentonne lag quer über dem Weg. Die Laube schien kurz vor dem Einsturz zu sein, die schiefen, mit Moos und Flechten überwucherten Holzwände warteten seit Jahren vergeblich auf einen neuen Anstrich. Trotz der Dunkelheit entging dem fachmännischen Blick des ehemaligen Buchhalters nicht, dass auch das Dach dringend geteert werden musste.
    Es raschelte, ein Schatten, nicht viel größer als ein Tennisball, huschte über den Rasen und verschwand unter der Laube. Herr Kalze tippte auf ein Wiesel, vielleicht auch ein Kaninchen, sicher war er nicht. Nach kurzem Überlegen beschloss er, dass es ihm egal war. Wiesel hin oder her, dieses verwilderte Grundstück beleidigte sein Gärtnerauge. Empört wandte er sich ab, lehnte sich an den Zaun und schloss für einen Moment die Augen.
    Er war müde, langsam musste er zurück zu seiner dicken Frau.
    Nein, dachte er, Lust habe ich überhaupt nicht, ich kann genauso gut noch ein paar Minuten hier stehen bleiben und die Ruhe genießen.
    Aus der Ferne ertönte ein hohes, durchdringendes Jaulen, es klang wie ein Wolf oder ein anderes wildes Tier. Voller Schmerz, irgendwie menschlich, ein Kreischen fast. Herr Kalze richtete sich verwundert auf. Plötzlich, wie es begonnen hatte, brach es ab, als wäre der Netzstecker eines Radios gezogen worden.
    Es war wieder still. Nur ein paar Grillen zirpten.
    Wer weiß, was das war, überlegte er kopfschüttelnd. Jetzt geh ich lieber los, bevor sie aufwacht und mir die Hölle heißmacht.
    Er lief zwei Schritte. Zögerte, blieb wieder stehen.
    Da war etwas anderes, zunächst war er nicht sicher, schließlich waren seine Ohren nicht mehr die besten. Doch, jetzt hörte er es deutlich:
    Ein Klopfen.
    Metall auf Holz, leise, aber unverkennbar. Es kam aus der verfallenen Laube. Herr Kalze dachte an das Wiesel (oder Kaninchen?), vielleicht hatte es sich irgendwo verfangen? Dann fielen ihm die Einbrüche der vergangenen Wochen ein. Waren das Diebe?
    Er lauschte angestrengt. Das Klopfen war rhythmisch:
    Dreimal kurz. Dreimal lang. Dreimal kurz.
    Das war ein Signal.
    Einbrecher? Nein, die klopften gewöhnlich kein SOS.
    Der Rentner überlegte. Ein Handy hatte er nicht (neumodischer Krimskrams, behauptete seine Frau, in dieser Beziehung hatte er ihr ausnahmsweise recht geben müssen), und er war allein hier. Sonderlich mutig war er nie gewesen, ein Hasenfuß allerdings auch nicht.
    Dreißig Sekunden später bog er die Zweige der Hecke auseinander und lief durch den verwilderten Garten.
    *
    »Es geht immer um Liebe, stimmt’s, Papa?«
    Der Kopf des Bibliothekars schwebte knapp zwei Meter über dem Boden. Max stand so dicht vor ihm, dass ihre Nasen sich fast berührten. Jetzt sah man deutlich, dass sie Vater und Sohn waren, ihre Augen hatten dieselbe Farbe, ein eisiges, stechendes Blau.
    »Du hast mir immer gesagt, wie sehr du mich liebst. Dass das, was du mit mir tust, normal ist. Ich hab dir geglaubt, Papa. Es hat so weh getan, aber du hast gemeint, dass Liebe manchmal schmerzhaft ist.«
    Max hob die Stahlrute.
    »Du hast mich belogen. Aber mit den Schmerzen, damit hattest du recht.«
    Peter Brandt krümmte sich in Erwartung des Schlages, wieder begann er zu pendeln. Auch der Hund schwang hin und her, er wehrte sich, zappelte und stieß ein langgedehntes, hohes Fiepen aus. Das Schaukeln wurde stärker, Brandt stieß mit dem Kopf gegen den Stamm der Buche, er riss die Augen auf, pendelte zurück, kam wieder näher, die Rinde schrammte über sein Gesicht, er erkannte ein Herz, das ein verliebtes Pärchen schon vor Jahren in das Holz geschnitzt haben musste, darunter die Initialen: CK&SL=LIEBE
    Sein Blick blieb wie gebannt daran hängen.
    »Jetzt zeige ich dir meine Liebe, Papa«, sagte Max leise und legte dem Hund die Hand auf die Schnauze. »Nein«, verbesserte er sich, »nicht ich, sondern er wird es tun.«
    Brandt schloss die Augen.
    »Hast du Hunger?«, fragte Max den Hund. »Jetzt kannst du fressen.«
    Die Rute sauste herab und traf den linken Hinterlauf. Das Tier heulte auf, schrie

Weitere Kostenlose Bücher