Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Schritten zögerte sie. Zwei Streifenwagen und ein Kleintransporter bogen um die Ecke und hielten direkt vor dem Eingang zur Sparkasse. Blaulicht flackerte über die frisch gestrichene Fassade, Türen schlugen, uniformierte Polizisten und Zivilbeamte stiegen aus.
Ein kleiner, rundlicher Mann in zerbeulten Hosen erschien und gab leise Anweisungen. Dann verschwanden die Männer im Haus gegenüber.
Die Frau ging zur Ampel an der Ecke. Es war rot, ein grauhaariger Herr mit Hut und Mantel stand mit dem Rücken zu ihr an der Straße und wartete. Als er sie kommen hörte, drehte er sich um, verlor das Gleichgewicht und stolperte über einen Papierkorb. Er lallte eine Verwünschung und wandte sich ab.
Sie roch den Alkohol und rümpfte die Nase.
Als die Ampel auf Grün sprang, lief sie eilig davon.
*
Ein paar Kilometer entfernt saß Herr Kalze vor seiner Laube. Die kleinen Fenster mit den geblümten Gardinen waren weit geöffnet, drinnen lag Frau Kalze und schlief wie ein Stein. Auf einem hölzernen Gartentisch standen eine Flasche Bier und ein gläserner Aschenbecher. Der Stummel einer dicken Zigarre glühte darin, ein schmaler Rauchfaden stieg senkrecht auf, kräuselte sich über dem kahlen Kopf des Rentners und verschwand im Nachthimmel.
Er trank einen Schluck Bier und wischte sich den Schaum vom Schnurrbart. Überlegte, ob er sich noch eine Zigarre anzünden sollte, ließ es dann aber sein.
Ich muss es ja nicht übertreiben, dachte er, verschränkte die mageren Arme vor dem Bäuchlein, lehnte sich zurück und sah hinaus in die Nacht.
Hinter den Bäumen erkannte er die oberste Plattform des Sprungturms, der Mond stand direkt darüber, es war so hell, dass er mühelos hätte Zeitung lesen können. Das allerdings hatte er den ganzen Tag über getan, er kannte sie in- und auswendig.
Vom Bad her ertönte ein Plätschern, gefolgt von einem unterdrückten Lachen. Wahrscheinlich ein Pärchen, das sich heimlich hineingeschlichen hatte.
Er richtete sich auf und lauschte. Zunächst war da nur das Rauschen des Wehres, dann hörte er es wieder, diesmal näher. Zuerst das helle, fast verlegene Kichern einer Frau, dann ein tiefes männliches Brummen.
Jetzt, dachte Herr Kalze und zündete sich nun doch eine zweite Zigarre an, suchen sie sich ein gemütliches Plätzchen und vergnügen sich ein wenig. Das Streichholz flammte auf, und als er den würzigen Rauch einatmete, fiel ihm ein, dass dies genau der Ausdruck war, den Frau Kalze früher immer gebraucht hatte: Sich miteinander vergnügen.
Wie lange war es jetzt her, dass er und Frau Kalze sich miteinander vergnügt hatten? Fünf Jahre? Sechs? Herr Kalze kniff die Augen zusammen, schwankte kurz, ob er es ausrechnen solle, ließ es dann aber bleiben. Das war kein schönes Thema, wichtig war es allerdings auch nicht. Seine Frau war nie sonderlich heißblütig gewesen, in den ersten Monaten ihrer Ehe vielleicht, damals, als sie noch ein junges, dralles Ding war. Das hatte sich schnell gegeben, und irgendwann hatte sie ihm beim Frühstück eröffnet, dass sie keinen sonderlichen Spaß daran hatte, mit ihm zu schlafen. Zunächst war er ein wenig enttäuscht gewesen, schließlich war er damals ein junger, gesunder Mann, doch bald, dann nämlich, als sie doppelt so viel wie er auf die Waage brachte, schlug die Enttäuschung in Erleichterung um. Jetzt waren sie beide über siebzig und die Erleichterung hatte einer gewissen Gleichgültigkeit Platz gemacht. Herr Kalze hatte seit Ewigkeiten nicht mehr dieses leichte Ziehen im Unterleib gespürt, geschweige denn den Drang, sich seiner Frau in irgendeiner Weise zu nähern.
Es war jetzt still vor der kleinen Laube. Herr Kalze stand auf, streckte den Rücken und stellte verwundert fest, dass er kein bisschen müde war.
*
»Chef, bist du zu Hause?
»Ja. Wo soll ich denn sonst sein?«
»Ich bin jetzt in der Wohnung von Peter Brandt. Das Nest ist leer.«
»Was?«
»Der andere Vogel ist ebenfalls ausgeflogen.«
»Der Bibliothekar ist weg?«
» Si, señor.«
»Scheiße!«
Ein undeutliches Klatschen war in der Leitung zu vernehmen, wahrscheinlich schlug Zorn wütend mit der Hand auf eine Sessellehne.
»Ihr stellt die Wohnung trotzdem auf den Kopf, oder?«, fragte er dann. Seine Stimme klang belegt, als wäre er erkältet. Oder müde, das war schwer zu sagen.
»Natürlich, Chef. Jetzt, wo wir einmal hier sind, ziehen wir das durch. Ich meld mich, wenn wir was finden. Oder soll ich dich lieber schlafen lassen?«
»Nee, lass mal. Das
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