Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
schließlich musste er ständig mit einem Anruf des jungen Polizisten aus der Intensivstation rechnen. Zorn wunderte sich selbst über diesen ungewohnten Diensteifer, kam aber schließlich zu dem Ergebnis, dass dieses Interesse auch persönliche Gründe hatte. Er wollte einfach wissen, was da passiert war, wer diese Morde begangen hatte. Zorn war neugierig. Und der Priester, da war er sicher, war momentan ihre einzige heiße Spur. Nun gut, heiß war diese Spur ganz und gar nicht, schließlich lag der Mann im Koma. Trotzdem, Giese war der Einzige, der ihn jetzt weiterbringen würde. Und es sah ganz danach aus, als könne Zorn nur warten.
Was er dann auch tat, den Fuß hochgelegt, ein Kissen im Rücken, das Telefon immer im Blick.
In den tiefsten Tiefen seines Unterbewusstseins gab es noch einen anderen Grund, aber das war eine Sache, die so gar nichts mit seinem Polizistendasein zu tun hatte: Claudius Zorn wartete auf einen weiteren Anruf. Er war sich dessen nicht bewusst, schließlich strengte er sich seit Wochen verzweifelt an, Malina zu vergessen. Selbst für einen geübten Verdränger wie Zorn war das ein hartes Stück Arbeit. Bis zu einem gewissen Punkt war es ihm sogar gelungen, doch seitdem er die Postkarte erhalten hatte, spukte sie ihm immer wieder durch den Kopf. Das war jetzt drei Tage her, und obwohl er die Karte zerrissen hatte, sah er Malina wieder vor sich, ihre Augen, die innerhalb von Sekunden die Farbe zu wechseln schienen, er konnte sie riechen (dieser verdammte Flieder!), spürte ihre kühle, nach Karamell schmeckende Haut. Dies alles schien sich fest in seinem Inneren verhakt zu haben, sie lauerte ihm auf, vor allem dann, wenn er sich nicht wehren konnte, in seinen Träumen. Und wenn er müde war.
Deswegen hatte er das Telefon an diesen beiden Tagen ständig in der Nähe, er nahm es mit aufs Klo, selbst als er in die Küche hinkte, um sich etwas zu essen zu machen (einmal, um sich einen Kaffee zu kochen, ein paar Stunden später briet er ein Spiegelei, beim dritten Mal, am frühen Sonntagnachmittag, schob er eine Pizza in die Mikrowelle, die er nach zwei Bissen in den Mülleimer warf), nahm er das Handy mit.
Doch es sollte an diesem Wochenende nicht klingeln.
Am Sonntagabend stand er am Fenster und sah zu, wie im Westen die Sonne unterging. Die Abraumhalden des Manfelder Landes flammten auf, glühten im Abendrot wie ägyptische Pyramiden, aus der Ferne erschienen sie schön, fast geheimnisvoll, und es war kaum vorstellbar, dass diese riesigen, künstlichen Berge aus nichts weiter als aus uraltem Dreck und Ruß bestanden. Die Kondensstreifen der Flugzeuge leuchteten über den Dächern der Stadt, von hier oben sah man die Menschen nicht, aber Zorn wusste, dass sie da waren, irgendwo da unten in der flimmernden Hitze. Und während er einer alten Beasty-Boys-Platte lauschte, dachte er an die Mittelmäßigkeit dieser Leute, ihre Durchschnittlichkeit und daran, dass er selbst nicht anders war als alle anderen. Aber hier oben konnte er sich wenigstens einreden, etwas Besonderes zu sein, getrennt von all dem profanen Gewusel und den Menschen, die ihm buchstäblich zu Füßen lagen.
You gotta fight for your right to party! , sang Claudius Zorn, rauchte eine letzte Zigarette und ging zu Bett. Und als er am Montagmorgen ausgeruht aus seinem Bett stieg, stellte er erfreut fest, dass sein Fuß so gut wie nicht mehr schmerzte, die Sonne schien durchs Fenster, Malina war vergessen, und später, vor dem Spiegel hatte er den Eindruck, dass sein Bauch ein wenig flacher war als gestern.
Ja, das würde ein schöner Tag werden, entschied Claudius Zorn.
Da allerdings hatte er sich gründlich verrechnet.
Zwanzig
Immerhin: Beginnen sollte der Arbeitstag des Hauptkommissars nicht ganz so unerfreulich wie die Stunden, die später folgen würden.
Gegen halb zehn erschien der dicke Schröder mit einer beigefarbenen Mappe in Zorns Büro, das noch immer aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Akten, Notizzettel und Stifte lagen überall verstreut, unter Zorns Schreibtisch glänzte ein eingetrockneter Wasserfleck. Schröder ließ sich von dem Durcheinander nicht beeindrucken.
»Hier, Chef. Der Bericht über dein Zusammentreffen mit dem Priester. Vielleicht willst du ihn noch mal durchlesen.«
»Ach, lass mal«, winkte Zorn ab. »Bring ihn am besten gleich der Borck. Ich bin sicher, sie wird nichts zu bemängeln haben.«
Kurz überlegte er, ob er sich bedanken solle, unterließ es aber, denn er dachte an
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