Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
ordnete sein Hemd im Hosenbund und schob die Mütze in die Stirn.
»Jawohl, Herr Hauptkommissar. Sie sind Hauptkommissar Zorn!«
Der Junge sah ihn an wie einen Popstar. Irgendetwas in diesem linkischen jungen Wachtmeister weckte eine verborgene, väterliche Ader in Claudius Zorn.
»Und woher kennen Sie mich, wenn man fragen darf?«
»Die Brandleiche im Nordbad. Ich habe den Tatort mit abgesperrt, am Dienstag.«
Gut, dass du nicht gesehen hast, wie ich fast vom Sprungturm gekotzt hätte, dachte Zorn, wies auf das Buch und fragte: »Was lesen wir denn Schönes?«
Bolldorf errötete und bückte sich beflissen: »Hier, Herr Hauptkommissar.«
»Ach ja.« Zorn runzelte die Stirn, als er den Titel las. » Grundsätze der Kriminalpraxis . Etwas trocken, aber nützlich.«
Er konnte sich dunkel daran erinnern, vor Jahren die ersten fünfzehn Seiten gelesen und das Buch dann entnervt in die Ecke geworfen zu haben.
»Theorie ist natürlich wichtig«, sagte er gönnerhaft und gab Bolldorf das Buch zurück. »Noch wichtiger allerdings ist Kombinationsgabe. Und die finden Sie nicht hier«, er deutete auf das Buch, »sondern hier.« Dabei tippte er sich an die Schläfe.
Da standen sie also im Flur der Intensivstation, ein zweiundvierzigjähriger Hauptkommissar in Jeans und Turnschuhen, der mit der Waffe unter der Achsel und der Sonnenbrille auf der Stirn ein wenig an einen alternden Don Johnson aus Miami Vice erinnerte, und ein blutjunger Polizist in schlotternder Uniformhose, jedes Wort von den Lippen seines Gegenübers ablesend, als wäre es das Evangelium. Auch das merkte Zorn, und gegen seinen Willen fühlte er sich geschmeichelt.
»Dann wollen Sie sich also für den gehobenen Dienst bewerben?«
»Jawohl, Herr Hauptkommissar.« Bolldorfs Augen leuchteten auf, als sein Blick auf Zorns Pistole fiel. »Ich möchte später zur Mordkommission.«
»Dann strengen Sie sich mal an«, erwiderte Zorn gnädig.
Die Krankenschwester erschien mit einem Tablett. »Dürfte ich mal bitte?«
»Natürlich.« Zorn schob die Sonnenbrille zurecht, nahm Bolldorf am Arm und zog ihn ein wenig zur Seite.
»Danke.« Sie lächelte Zorn zu und verschwand in Gieses Zimmer. Drinnen war es dämmrig, mehr als die verschwommenen Umrisse des Priesters auf dem riesigen Bett waren nicht zu erkennen.
Zorn senkte die Stimme. »Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun, Bolldorf.«
»Okay«, nickte der Wachtmeister. Auf seinen Wangen bildeten sich hektische Flecken in Erwartung einer bedeutenden Aufgabe.
»Dieser Mann ist ungemein wichtig für die laufenden Ermittlungen«, flüsterte Zorn. »Er muss schnellstmöglich befragt werden. Wie lange werden Sie hier noch eingesetzt?«
»In einer Stunde habe ich Feierabend. Ich müsste auf den Dienstplan sehen, aber ich glaube, dass ich die komplette nächste Woche tagsüber hier Wache stehe.«
»Auch am Wochenende?«
»Jawohl, Herr Hauptkommissar.«
»Gut. Sollte da drinnen irgendetwas vorgehen, melden Sie es umgehend auf der Dienststelle. Oder besser noch«, er kramte in seinen Hosentaschen und reichte Bolldorf eine zerknickte Visitenkarte, »rufen Sie mich auf dem Handy an. Ich will sofort informiert werden, wenn Giese zu Bewusstsein kommt, klar?«
»Total klar!«
»Jede noch so kleinste Kleinigkeit ist wichtig.«
»Vorhin«, hauchte Bolldorf ein wenig außer Atem und wies mit dem Daumen über die Schulter, »hat es da drinnen gepiept.«
»Tut es das nicht öfter?«
Der Wachtmeister dachte nach. »Eigentlich schon.«
»Wenn Sie den Eindruck haben, dass Giese aufwacht, melden Sie mir das«, erklärte Zorn mit wichtiger Miene. »Wie sich das ankündigt, ob durch ein Piepsen, ein Pupsen oder von mir aus auch durch ein Brummen, überlasse ich Ihrer Entscheidung. Das liegt in Ihrem Ermessen.« Er tippte dem Wachtmeister auf die Brust. »Ich vertraue auf Ihr Urteilsvermögen, Bolldorf!«
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Herr Hauptkommissar.«
»Sehr gut. Dann, äh …«, Zorn wedelte mit der Hand, »weitermachen.«
Er warf dem erröteten Wachtmeister einen letzten bedeutsamen Blick zu und humpelte davon.
*
Die folgenden beiden Tage verbrachte Claudius Zorn abwechselnd im Bett und auf dem Sofa liegend, schließlich war Wochenende. Und es war heiß. Vierzehn Stockwerke unter ihm köchelte die Stadt wie ein übelriechender Braten in der Backröhre.
Die meiste Zeit über hörte er Musik und schonte seinen verletzten Fuß. Das Handy hatte er entgegen seinen Gepflogenheiten immer in Reichweite,
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