Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Schröders Klingelton-Attacke (wie er dessen Angriff auf sein sensibles Nervenkostüm insgeheim bezeichnete).
Stattdessen entschied er sich, seinen Untergebenen noch ein wenig zu triezen: »Du hast dich doch nicht das ganze Wochenende mit dem Bericht beschäftigt?«
»Nein, Chef. Ich musste schließlich noch in der Bibel lesen.«
»Und? Hast du was gefunden?«
» Nothing.«
»Das dachte ich mir.«
»Aber es war eine interessante Lektüre.«
»Ich hoffe, du hast die ganze Nacht damit verbracht.«
Schröder schob mit dem Fuß einen dicken Ordner beiseite und kam einen Schritt näher. »Bist du immer noch sauer?«
»Du meinst den Klingelton?« Zorn sah aus dem Fenster und überlegte. Die große Kastanie auf dem Parkplatz leuchtete in der Morgensonne. Ein Kleintransporter mit dem bunten Logo des lokalen Fernsehsenders schaukelte um die Ecke und hielt zwischen zwei Streifenwagen.
»Okay«, sagte Zorn und beschloss, Frieden zu schließen. »Vergessen wir’s. Aber wage es nie wieder, mich mit dieser Volksmusikscheiße zu belästigen, Freundchen.«
»Schlager«, korrigierte Schröder höflich. »Und als Scheiße würde ich das Ganze auch nicht bezeichnen, wenn die Bemerkung gestattet ist.«
»Sondern?«
»Etwas muss an dieser Musik sein, sonst würden es die Menschen nicht so lieben.«
»Was sollte das bitteschön sein?«
»Keine Ahnung, Chef. Etwas, was die Seele berührt. Ich würde gern herausfinden, was das ist.«
»Tu das, Schröder. Aber sei so nett und verschone mich damit. Und meine Seele auch.«
Draußen knallten Autotüren, eine platinblonde Frau verließ den Kleinbus und kam über den Parkplatz gestöckelt. Ihre hochhackigen Schuhe klapperten über den Asphalt. Ein magerer Kerl mit Pferdeschwanz und einer Kamera unter dem Arm versuchte vergeblich, mit ihr Schritt zu halten.
»Du warst am Freitag im Krankenhaus, Chef?«
»Was?«, fragte Zorn geistesabwesend.
»Du warst bei Giese? Im Krankenhaus?«, wiederholte Schröder geduldig.
»Ja, genau.« Zorn riss seine Gedanken von den Beinen der Blondine los und wandte sich wieder dem schnöden Alltag zu. »Es sieht nicht gut aus. Der Arzt sagt, wir dürfen nicht zu ihm. Und er weigert sich, eine Prognose abzugeben, wann Giese aufwachen könnte.«
»Bei diesen Verletzungen wundert mich das nicht.«
»Er hat wohl einen Schädelbruch, die Wirbelsäule ist angeknackst, außerdem hat der Doktor noch was von einem Leberriss erzählt.«
»Den muss er sich zugezogen haben, als er in den Baum gefallen ist. Ein Ast hat ihn regelrecht aufgespießt.« Schröder fasste sich an den dicken Bauch. »Irgendwo am Unterleib.«
»Danke. So genau wollte ich’s gar nicht wissen.«
»Nichts zu danken, Chef.«
Zorn dachte an Schröders Bauchwunde.
»Wie geht’s dir eigentlich?«
»Wie meinst du das?«, fragte Schröder, ehrlich verwundert.
»Ich meine deine Verletzung.«
»Gut. Bestens.« Schröder hob den bandagierten Arm. »Die Hand wird auch besser. Die Kollegen von der Kriminaltechnik sind übrigens dabei, Gieses Laptop zu checken.«
»Okay«, nickte Zorn, dem sofort auffiel, wie schnell Schröder das Thema gewechselt hatte. »Haben sie was rausgefunden?«
»Noch nicht, aber bald, denke ich. Das Teil ist mit einem Passwort geschützt.«
»Etwas ungewöhnlich für einen allein lebenden Priester, oder?«
»Allerdings.«
»Gib mir Bescheid, wenn es was Neues gibt.« Zorn stand auf. Die blonde Frau vom Parkplatz schoss ihm durch den Kopf »Ich geh erst mal raus, eine rauchen.«
Schröder nickte und öffnete die Tür.
»Läufst du jetzt eigentlich immer so rum?«, fragte er, mit einem Bein schon auf dem Flur stehend.
»Was meinst du?«
Schröder wies wortlos auf das Pistolenhalfter.
»Ach so!« Zorn klopfte mit der flachen Hand auf die Waffe. »Das ist Vorschrift, hast du das nicht gewusst?«
»Du hältst dich doch sonst nie an die Vorschriften, Chef.«
»Vielleicht«, lächelte Zorn, »habe ich mich ja geändert?«
»Das würde mich aber sehr, sehr wundern.«
Schröder winkte zum Abschied und schloss die Tür.
Eigentlich, überlegte Zorn und kratzte sich am Kopf, hat er mal wieder recht. Einen Moment stand er unschlüssig da, dann ging er zum Schreibtisch und warf Pistole samt Holster in die unterste Schublade.
Ich muss es nicht übertreiben, dachte er. Schließlich habe ich mich genug zum Affen gemacht. Das sollte für die nächste Zeit reichen.
Aber auch da, so sollte sich gleich herausstellen, hatte er sich geirrt.
*
»Herr Hauptkommissar!
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