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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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polnischen Namen, sitzt derweil im Hotel vor seinem Rechner. Die Festplatte surrt leise vor sich hin. Er hat kein Licht gemacht, sein Gesicht schimmert fahl in der Dämmerung.
    Draußen klappern Türen, es rumpelt, als ein breitschultriger Mann mit orangefarbener Jacke eine Mülltonne über den Hinterhof auf die Straße zieht.
    Czernyk klappt den Laptop zu, nimmt die Brille ab und schließt die schmerzenden Augen. Die Johnnie-Walker-Flasche ist fast leer. Er trinkt einen letzten, tiefen Schluck. Mit einem leisen Klappern landet die Flasche im Papierkorb. Dann steht er auf und geht zum Bett.
    Er war in der Hölle. Er hat sich dort umgesehen. Die Bilder sind in seinem Kopf, Hunderte, Tausende, er hat sie abgespeichert und wird sie wieder abrufen, wenn es nötig ist.
    Er hat etwas entdeckt. Ja, das hat er.
    Doch jetzt muss er sich ausruhen.
    Jan Czernyk zieht sich aus, hängt die Sachen sorgfältig zusammengefaltet über den Stuhl. Klappt die Brille zusammen und legt sie auf den Nachtisch.
    Zwei Minuten später liegt er im Bett und schläft.
    Tief. Und traumlos.
    *
es geht mir nicht gut, die wirklichkeit vermischt sich mit meinen träumen, ich kann sie nicht festhalten, sie entgleitet mir, ich weiß nicht mehr, was real ist
aber wer weiß das schon
    *
    Gegen neun betrat Zorn das Hotelrestaurant. Jan Czernyk saß allein an einem der hinteren Tische am Fenster, vor ihm stand ein üppiges Frühstück.
    »Guten Morgen.« Zorn nahm Platz, klappte die Sonnenbrille zusammen und sah Czernyk erwartungsvoll an. »Sie hatten angerufen?«
    »Danke, dass Sie gekommen sind, Kollege.« Czernyk schlug ein Ei auf. Er wirkte entspannt und ausgeruht. Dass er höchstens viereinhalb Stunden geschlafen haben konnte, war ihm nicht anzusehen. Das rabenschwarze Haar war akkurat gekämmt, er trug ein frisches, gebügeltes Hemd. »Kaffee?«, fragte er und winkte den Kellner heran.
    »Gern«, nickte Zorn und überlegte, was er von Czernyk halten sollte. Menschen in Anzügen waren ihm ein Gräuel, der Mann, der da vor ihm saß, trug einen solchen, noch dazu einen ziemlich teuren, wahrscheinlich ein italienisches Modell. Czernyks gesamte Erscheinung (der goldene Ring an der linken Hand, die schmale Krawatte, das sorgfältig im Nacken ausrasierte Haar) bediente so ziemlich jedes Vorurteil, das sich Zorn im Laufe seines Lebens mühsam erarbeitet hatte.
    Aber etwas anderes schlummerte unter dieser geschniegelten Oberfläche: Lag es an Czernyks ruhiger Art? Der leisen, aber trotzdem selbstsicheren Stimme? Oder an den geschmeidigen, fast katzenhaften Bewegungen? Der Mann konnte schnell sein, wenn es darauf ankam. Und es war klar, dass Czernyk genau wusste, was er wollte.
    Der Kellner brachte den Kaffee.
    »Hätten wir uns nicht im Präsidium treffen können?« Zorn trank einen Schluck.
    Czernyk kaute bedächtig. Dann nickte er. »Natürlich hätten wir das. Andererseits finde ich es hier entspannter. Ich mag keine öffentlichen Gebäude.«
    Das, dachte Zorn, haben wir gemeinsam.
    »Haben Sie eigentlich schon gefrühstückt?« Czernyk wies auf den gedeckten Tisch. »Soll ich Ihnen einen Teller bringen lassen?«
    »Nicht nötig, ich habe vorhin gegessen«, log Zorn. »Wie wär’s, wenn Sie mir sagen, was Sie herausgefunden haben?«
    »Gleich. Vorher würde ich gern essen. Könnten Sie mir bitte die Butter reichen?«
    Das tat Zorn. Als er sich hinüberbeugte, roch er Czernyks Haarwasser, ein Duft, der sich mit einem leichten Pfefferminzgeruch mischte. Da war noch etwas anderes, Zorn war nicht sicher. Alkohol?
    »Wie lange werden Sie hier zu tun haben?«, fragte er.
    »Das weiß ich noch nicht.« Czernyk strich Butter auf ein Brötchen. »In jedem Fall hatten Sie recht.«
    »Womit?«
    »Dass ich diese Stadt schnell wieder verlassen möchte.« Er biss ab, Zorn war nicht sicher, ob Czernyk kaute oder lächelte. Vielleicht tat er beides?
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Auf der Festplatte sind insgesamt dreihundertvierunddreißig Filme«, begann Czernyk dann und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Die Längen variieren, manche dauern nur ein paar Sekunden, andere über zwanzig Minuten. Dazu kommen mehrere hundert Fotos. Kinder in allen Altersklassen, das jüngste ist ein paar Monate alt.«
    »Sie haben alle angesehen?«
    »Das wird noch dauern. Aber das Wichtigste weiß ich zumindest.«
    Zorn wischte einen Brotkrümel vom Tisch.
    »Ich frage mich, wie Sie mit all diesem Dreck klarkommen.«
    »Gar nicht.« Czernyk begann, eine Apfelsine zu schälen.

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