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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Kopf.
    »Dazu muss es nicht kommen.«
    »Ich habe den Notarzt verprügelt. Irgendwann werde ich deine Mutter schlagen, wer weiß, was ich noch alles tun werde, ich kann es nicht beeinflussen.« Knotige, mit Altersflecken bedeckte Finger tasteten über die Bettdecke, fanden Schröders Hand. »Hör mir genau zu, mein Sohn. Das könnte jetzt mein letzter klarer Moment sein, und ich will, dass du mir sehr genau zuhörst, wirst du das tun?«
    »Ja, Papa.«
    Der Alte stützte sich auf den Ellbogen.
    »Ich will nicht mehr leben.«
    Der Tropf wackelte in seinem Gestell, in der Infusionsflasche stiegen Blasen auf.
    »Hilf mir, dass ich sterben kann.«
    Schröder sah seinen Vater an.
    »Du weißt, dass ich das nicht tun werde.«
    Der Alte hatte mit tiefer, klarer Stimme gesprochen. Jetzt schien ihn die Kraft zu verlassen, er sank zurück in die Kissen.
    »Dann muss ich es allein weiter versuchen.«
    »Du darfst Mama nicht im Stich lassen. Und mich auch nicht.«
    »Sieh mich an, ich bin eine Witzfigur.«
    »Du bist mein Vater.«
    »Ich habe einen wildfremden Mann für meinen Sohn gehalten.«
    »Wer hat dir das erzählt? Mama?«
    Der alte Mann nickte erschöpft, dann schloss er die Augen. Einen Moment schien es, als wäre er eingedöst. »Obwohl«, murmelte er dann, »er sieht Rüdiger wirklich sehr ähnlich, dein Kollege.«
    »Das stimmt.«
    Schröder wartete, bis sein Vater eingeschlafen war. Lange saß er da, hielt seine Hand, betrachtete das faltige, eingefallene Gesicht. Dann gab er ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Das darfst du nicht von mir verlangen, Papa«, flüsterte er. »Ich kann es nicht noch einmal tun. Es reicht, dass ich meinen Bruder auf dem Gewissen habe.«

Achtundzwanzig
    Zwanzig Jahre zuvor.
    Rüdigers Ähnlichkeit mit Claudius Zorn ist wirklich verblüffend, nur die Nase ist größer, die Augen stehen ein wenig enger zusammen. Sie sind vom Salzwasser gerötet, das lange Haar ist nass, von Sonne und Meer ausgebleicht, es klebt ihm am Kopf wie ein dunkler Helm. Seine Hände sind aufgeweicht, umklammern das Holz eines Paddels. Sein Bruder, ein drahtiger Bursche mit feuerrotem Haarschopf und hellblauen Augen, hält sich am anderen Ende fest.
    Das Paddel. Es ist alles, was von ihrem Boot übrig ist.
    Ein Einmaster, ein altes Segelboot, drei Monate haben sie gebraucht, bis sie es wieder seetauglich hatten. Jetzt liegt es irgendwo tief unter ihnen auf dem Meeresgrund, zusammen mit dem Funkgerät, den Signalraketen, den Schwimmwesten. Und den Trinkwasserkanistern.
    Es war Nacht, als das Schiff kenterte. Es gab eine Explosion, wahrscheinlich ist der Benzintank hochgegangen. Sie wissen beide nicht, was genau geschehen ist, das ist jetzt auch egal.
    Die Dünung rollt majestätisch Richtung Westen, ab und zu verschwinden ihre Köpfe in den Wellentälern, werden emporgehoben, tauchen wieder ab. Der Atlantik ist ruhig. Das wird auch so bleiben, solange sie im Wasser treiben, vierhundert Kilometer westlich vom afrikanischen Festland.
    Es war ihr erster gemeinsamer Urlaub. Sie hatten keinen Plan, wollten ein paar Wochen zwischen den Kanarischen Inseln kreuzen, dann würden sie weitersehen. Das Boot wieder verkaufen, das Geld würde für einen Flug zurück nach Deutschland reichen.
    »Du musst wach bleiben, Kleiner!«, ruft Rüdiger.
    Sein Bruder schreckt hoch. Irgendwann wird man ihn nur noch den Dicken Schröder nennen, kaum jemand kennt dann seinen Vornamen. Bis dahin werden noch ein paar Jahre vergehen, jetzt ist er ein dünner junger Mann Anfang zwanzig, halb ohnmächtig, kurz vor dem Verdursten. Jegliches Zeitgefühl ist ihm abhandengekommen, Minuten, Stunden, Tage, das ist jetzt nebensächlich, es geht nur darum, den Kopf über Wasser zu halten, mit den Beinen zu strampeln, immer und immer wieder, hin und her, die Muskeln sind steif, wie eingefroren, jede Bewegung schmerzt.
    »Ich kann nicht mehr.«
    Er treibt auf dem Rücken, Salzflecken haben sich auf seinem Gesicht gebildet, er zittert, seine Lippen sind blau. Das Wasser ist kalt, fünfzehn Grad vielleicht, beide sind unterkühlt. Sie klammern sich an das Paddel, strampeln, kreisen langsam umeinander.
    »Doch, du kannst.«
    Es ist hell, die Sonne scheint. Der Atlantik funkelt im Licht, Flugzeuge kreuzen über ihnen am Himmel, Heerscharen von Touristen sitzen darin, satt, zufrieden, in einer guten Stunde werden sie in ihren Hotelburgen auf Teneriffa ankommen. Niemand sieht, wie die beiden Brüder immer weiter hinaus auf den Ozean treiben. Hier draußen gibt es

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