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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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das nicht so gemeint.«
    »Das hat mich traurig gemacht.«
    »Es tut mir leid!«
    Die Schritte näherten sich. Eine halbe Minute noch, höchstens.
    »Bitte«, stöhnte Zorn.
    Es waren mehrere Personen, die sich der Badehalle näherten, zwei, vielleicht auch drei. In ein paar Sekunden würden sie hier sein. Der Lampenmann horchte auf.
    »Da kommt jemand!«
    Blitzmerker, dachte Zorn resigniert.
    »Ich versteck mich!«, flüsterte der Lampenmann aufgeregt und ging hinter dem Brunnen in die Hocke. Sein Kopf tauchte wieder auf, er rannte zum Eingang, zögerte und wandte sich nach rechts. Er drehte sich um die eigene Achse auf der Suche nach einem Versteck, die Puppen an seinem Gürtel kreisten wie der Bastrock einer karibischen Hula-Tänzerin. Schließlich lief er in Richtung Ostflügel, öffnete die Tür, sein Rucksack verhakte sich an der Klinke, hastig machte er sich los.
    Zorn sah ihm ausdruckslos zu. Jetzt war alles egal.
    »Das ist ein tolles Spiel!«
    Der Lampenmann lachte leise und verschwand in der Dunkelheit des Ostflügels. Seine Schritte entfernten sich, dann ging gegenüber die Tür auf.
    »Ja«, knurrte Zorn. »Ein unglaublich tolles Spiel.«
    Er kam sich vor wie in einem albernen Fernsehschwank.
    Ständig gehen Türen auf, dachte er, knallen wieder zu, Schauspieler flitzen durch die Kulissen, erzählen blödes Zeug und verschwinden durch die nächste Tür. Der Einzige, der die ganze Zeit auf der Bühne bleibt, bin ich. Der Trottel vom Dienst, sozusagen.
    Immerhin, Zorn schien nicht der einzige Trottel in diesem Stück zu sein. Die beiden, die jetzt eintraten, waren an den Händen aneinandergefesselt. Rechts stand Elias de Koop, zu Zorns Verwunderung trug er Trainingssachen, als käme er gerade vom Joggen. Den alten, offensichtlich verwirrten Mann neben ihm hatte Zorn noch nie gesehen.
    Hinter ihnen erschien eine schlanke Gestalt.
    »Jetzt«, sagte Jan Czernyk, »sind wir vollzählig. Wir können beginnen.«
    *
    Die folgende halbe Stunde sollte die längste im Leben von Hauptkommissar Zorn werden. Das, was er erfuhr, was er sah, es würde ihn nicht wieder loslassen. All das Blut, die Schmerzen, die Menschen einander zufügen können, sosehr er sich auch mühte, er würde es nicht vergessen. Nie mehr.

Vierunddreißig
    »Dies ist eine Verhandlung, sie wird mit einem Urteil enden. Alles wird nach genauen Regeln ablaufen. Ich habe diese Regeln aufgestellt, und jeder wird sich daran halten. Wer es nicht tut, wird erschossen.«
    Czernyk saß hinter dem provisorischen Tisch mit den Werkzeugen. Direkt davor hatte er zwei einfache Holzstühle gestellt, de Koop und der Richter hockten nebeneinander wie Schüler vor dem Lehrertisch, mit dem Unterschied, dass ihre Handgelenke aneinander gefesselt waren. Und noch etwas war anders: Die Pistole in Czernyks rechter Hand. Der Schalldämpfer ließ die Waffe noch bedrohlicher erscheinen.
    Zorn stand drei Meter schräg hinter ihnen, unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Er sah nur die Hinterköpfe der beiden, das graue, verfilzte Haar des Richters, de Koops dunkle, etwas zu lange Locken.
    »Es handelt sich hier nicht um Selbstjustiz«, fuhr Czernyk fort. »Es ist die Fortführung eines manipulierten Prozesses, einer Verhandlung, die durch Bestechung und Korruption gesteuert wurde. Beweise wurden vernichtet. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen werde ich ein neues Urteil fällen.«
    Czernyk schien diese Rede im Kopf schon mehrfach durchgegangen zu sein, er sprach langsam, emotionslos, als säßen sie tatsächlich in einem Gerichtssaal und nicht im Kerzenschein einer verfallenen Ruine. Zorn fiel auf, dass er ständig zwinkerte. Ein milchiger Schleier lag über seinen Pupillen.
    »Sie«, Czernyk warf dem Richter einen kurzen Blick zu, »haben sich korrumpieren lassen. Ich entziehe Ihnen die Leitung dieser Verhandlung und klage Sie an wegen Bestechlichkeit im Amt. Ich klage Sie an der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung sowie der Verletzung Ihrer richterlichen Pflichten. Sie werden Gelegenheit zur Rechtfertigung bekommen. Ich werde diesen Prozess an Ihrer Stelle leiten.«
    »Was für ein gottverdammter Humbug!«, rief Zorn von hinten. Er konnte nicht anders.
    Czernyk sah auf.
    »Regel Nummer eins: Sie reden nur, wenn ich Ihnen das Wort erteile. Im Übrigen bin ich legitimiert durch das, was ich weiß. Durch die Wahrheit.«
    Der Richter hockte zusammengesunken neben de Koop. Zorn konnte ihre Gesichter nicht erkennen. De Koop hielt sich gerade, er hatte die Schultern nach

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