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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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tragen«, herrschte Zorn ihn an. »Deshalb bist du doch hier, oder?«
    Hermann griff nach der Reisetasche. Er gab ein Grunzen von sich, sie schien wirklich schwer zu sein. Dann klemmte er die Cowboystiefel unter den Arm und drehte sich noch einmal um. »Ich find’s cool, dass du das so locker nimmst, Mann.«
    Malina warf ihm einen warnenden Blick zu.
    »Ja«, nickte Zorn, ging jetzt ebenfalls zur Tür und hielt sie den beiden auf. »Ich bin der coolste Typ der Welt.«
    Hermann hob entschuldigend die Hände und drängelte sich an ihm vorbei. Jetzt standen sie dicht voreinander. Zorn deutete eine Verbeugung an.
    »Schönen Abend noch.«
    »Ebenso. Nichts für ungut, Kumpel.«
    Hermanns Grinsen wirkte ein wenig angestrengt.
    Prince schrie sich die Seele aus dem Leib.
    I just want your extra time and your …
    Zorn schlug zu.
    … Kiss!
    Nicht, weil ihm die Argumente ausgegangen wären, o nein. Die hatte er von vornherein nicht gehabt. Wie auch? Er hatte noch immer nicht verstanden, worum es hier überhaupt ging. Und so sehr er sich auch mühte, er sah einfach keinen Grund für das, was hier passierte. Eines allerdings wusste er: dass Malina verloren war, vielleicht für immer. Jetzt brauchte er einen Schuldigen. Zorn hätte nie eine Frau geschlagen, und so traf es Hermann. Er wollte einfach seine Faust in dieses glatte, milchige Gesicht hauen und den Schmerz in den Knöcheln spüren.
    Das war alles.
    Es tat mehr weh, als Zorn erwartet hatte.
    Und er genoss es.

Vierzehn
    »Ich komme heute nicht auf Arbeit, Schröder. Es geht mir nicht gut.«
    Zorn stand am Wohnzimmerfenster, er hatte Mühe, das Telefon am Ohr zu behalten. Es schien Tonnen zu wiegen.
    »Was ist los, Chef?«
    Ja, was?, überlegte Zorn. Mir ist schlecht, mein Bauch tut weh und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Liebe meines Lebens hat mich verlassen. Und ich habe einem Vegetarier die Nase gebrochen.
    »Nichts weiter«, log er. »Wahrscheinlich eine Grippe. Oder so.«
    Zorn wusste nicht, wann er eingeschlafen war. Hatte er überhaupt geschlafen? Noch immer trug er die Sachen vom Vortag, das Hemd war zerknittert, und er hatte einen widerlichen, modrigen Geschmack im Mund, als habe er verwestes Fleisch gegessen. Wahrscheinlich roch er wie ein übervoller Mülleimer.
    »Wir haben viel zu tun, Chef.«
    »Das weiß ich.«
    Im Hintergrund ertönte leise Klaviermusik, unterlegt mit dem Klappern von Schröders Tastatur.
    »Der Tote von gestern, Jeremias Staal, hat ein Doppelleben geführt«, sagte Schröder. »Er war kein harmloser Autoverkäufer. Wir haben Bargeld, gefälschte Ausweise und eine versteckte Waffe gefunden.«
    Zorn wusste, dass sie schnellstens weitermachen mussten. Aber es kümmerte ihn im Moment nicht.
    Dieser Staal ist mir egal, dachte Zorn.
    Haha, das reimt sich. Ich bin ein Poet. Ein Dichter, der Gitarre spielenden Sojakernspaltern die Fresse einschlägt.
    »Morgen bin ich wieder fit, Schröder.«
    »Du klingst wirklich nicht gesund.«
    »Das bin ich auch nicht.«
    »Wir machen folgendes, Chef.« Schröder überlegte einen Moment. »Du ruhst dich jetzt aus, und heute Abend kommst du zu mir zum Essen.«
    Spinnst du?, wollte Zorn rufen, ich habe Besseres zu tun!
    »Keine Widerrede«, entschied Schröder. »Punkt acht. Du weißt, wo ich wohne.«
    Dann legte er auf.
    Zorn ließ das Telefon sinken. Nein, er hatte wirklich keine Lust, sich mit Schröder zu treffen, er wollte niemanden sehen, aber irgendwie hatte der Gedanke auch etwas Tröstliches.
    Zorn gähnte, nahm die Brille ab und rieb sich die müden Augen. Die Sonne war aufgegangen, tauchte die Dächer tief unter ihm in ein warmes, goldenes Licht. Nach all den hässlichen Oktobertagen schien es, als würde das Wetter sich nun ändern.
    Altweibersommer, überlegte Zorn. Das passt. Ich bin ein weinerlicher, depressiver Kerl, der seine Jugend längst vergessen hat. In ein paar Jahren bin ich fünfzig. Mein Gott, das Leben geht einfach zu schnell vorbei. Viel zu schnell.
    Er schlurfte zum Sofa, klopfte ein Kissen zurecht und streckte die Beine aus.
    »Du siehst alt aus, wenn du wütend bist«, hatte Malina leise zu ihm gesagt, während Hermann sich vor Schmerzen auf dem Teppich krümmte.
    Zorn schloss die Augen.
    Plötzlich verspürte er Hunger, überlegte, ob er aufstehen und im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchen sollte, danach konnte er duschen, die Zähne putzen und hinüber ins Schlafzimmer gehen, oder nein, eine Zigarette wäre nicht schlecht, doch dieser Gedanke kam schon

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