Zorn - Wo kein Licht
schön.«
»Der alte Kurpark.« Sie lächelte. »Da drin soll’s spuken.«
»Mich erinnert es eher an ein Gefängnis.«
Sie nahm seine Hand.
»Hast du Angst?«, fragte er.
»Nein.«
Czernyk sah ernst auf sie hinab.
»Das brauchst du auch nicht. Ich würde dich beschützen.«
Sie fragte sich, wann sie ihn das letzte Mal hatte lachen hören. Eigentlich noch nie, fiel ihr ein, sie wusste nicht einmal, wie sein Lachen klang.
»Lass uns nach Hause gehen«, sagte sie.
Er schwieg. Es schien, als lausche er ihren Worten nach.
Dann liefen sie weiter.
»Nach Hause«, murmelte Jan Czernyk. »Ja, das ist gut.«
*
Klack, klack.
Der alte Richter klopft gegen das Rohr, wartet.
Nichts. Er weiß nicht, wann er zuletzt eine Antwort erhalten hat, es können Stunden vergangen sein. Oder Tage? Zwischendurch ist er immer wieder eingeschlafen, er hat geträumt, wirres, unverständliches Zeug, wahrscheinlich hat man ihm etwas ins Essen gemischt. Neben der Badewanne steht eine Büchse mit Hühnereintopf, halb geöffnet, wahrscheinlich mit einem Messer. Die Suppe ist kalt, das Fett zu weißen Klumpen geronnen. Es gibt keinen Löffel, er musste direkt aus der Büchse trinken. Seine Lippen bluten, er hat sich an den scharfen Kanten geschnitten.
Er zieht den Mantel eng um den Körper, nimmt die Taschenlampe, der Strahl wandert durch die Zelle, über die schwere Stahltür, die verschmutzten Fliesen, verharrt zitternd auf der Wand gegenüber.
NOCH EIN PAAR STUNDEN, MEHR NICHT.
Eine neue Botschaft.
Nein, er will nicht wissen, was das bedeutet. Doch er ahnt es.
Er muss pinkeln, dringend. Lange wird er nicht mehr durchhalten, dann wird er wieder zum Waschbecken gehen, es bleibt ihm nichts anderes übrig. Der Geruch ekelt ihn an, diese Mischung aus Urin, Schweiß und nasser Erde, der Gestank des eigenen Körpers.
Das ist das Schlimmste, die Demütigung, dass er sich nicht waschen kann, keine Möglichkeit hat, sich zu reinigen. Sein Äußeres war ihm immer wichtig, er ist eine Respektsperson, jemand, der über den anderen steht. So war es sein ganzes Leben lang, er war es, der bestimmte, was Recht und Ordnung ist, ein Wink von ihm, und Existenzen wurden zerstört oder in die Freiheit entlassen. Er hat das nie ausgenutzt, hat sich immer an die Gesetze gehalten, er war bekannt dafür, dass er sich nicht beeinflussen ließ. Das Einzige, was zählte, waren die Paragraphen in den Gesetzbüchern, seine Urteile waren kühl, emotionslos, aber gerecht.
Einmal nur ist er schwach geworden, ein einziges Mal. Es ist die Gier gewesen, die ihn überkommen hat und jeden klaren Gedanken an Gerechtigkeit beiseite drängte. Diese Unmenge Geld, die man ihm geboten hat, kurz vor seiner Pensionierung. Er musste nichts dafür tun, nur wegsehen.
Deswegen ist er hier. Jetzt soll er, der Richter, gerichtet werden.
Einen anderen Grund kann es nicht geben.
NOCH EIN PAAR STUNDEN, MEHR NICHT.
Noch einmal klopft er gegen das Rohr, wartet. Vielleicht schläft der andere nebenan, steht ebenso unter Drogen oder Schlafmitteln, reagiert deshalb nicht.
»Hallo?«
Seine Stimme, sonst tief und volltönend, verpufft zwischen den dicken Mauern. Im Stillen hat er es immer genossen, dass jede seiner Anweisungen sofort befolgt wurde. Nie musste er laut werden, der Klang seiner Worte reichte aus. Ruhig, keinen Widerspruch duldend, befehlsgewohnt.
»Ist da jemand?«
Jetzt hört er sich an wie ein Kind, das nachts in der Dunkelheit aufwacht und feststellt, dass es allein ist.
Der alte Richter schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Der Strahl der Taschenlampe wird schwächer, die Batterien müssen gewechselt werden. Unwichtig, darüber zumindest muss er sich keine Gedanken machen.
Es wird bald geschehen.
Sehr bald.
*
Als Zorn seine Wohnungstür aufschloss, wunderte er sich kurz, warum das Licht im Flur brannte. Er war müde, den ganzen Nachmittag über hatten sie diskutiert, wie sie weiter vorgehen sollten, jetzt, da es erneut einen Toten gegeben hatte. Selbst Schröder war ratlos und fand keine Erklärung dafür, wie Jeremias Staal, der erschlagene Autohändler, in das Puzzle passen sollte. Sicherlich, sie sahen Zusammenhänge, doch überall schien es einen Haken zu geben, Teile fehlten, das Bild wollte sich einfach nicht zusammenfügen.
Zorn warf die Lederjacke über den Garderobenhaken, zog die Schuhe aus, schlurfte ins Wohnzimmer und schloss geblendet die Augen.
Auch hier brannte Licht.
Das war nicht alles: Am Fenster stand ein Mann in engen schwarzen
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