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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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doch am nächsten Morgen war er verschwunden. Sein geblendeter Geist sei hinab zu den Solquellen unter der Stadt gefahren, wurde in den Straßen geflüstert, dort gehe er jetzt um, ruhelos, verdammt bis zum jüngsten Tag, auf der Suche nach dem gestohlenen Salz.
    Außerhalb der hohen Mauern klangen diese Geschichten kindisch. Doch drinnen, wo es still war, gespenstisch still, wirkten sie real, selbst jetzt, im Licht der untergehenden Sonne.
    Eine Ratte erschien unter dem Baugerüst, schnüffelte kurz und huschte hinüber zum Musikpavillon. Das Dach war zur Hälfte eingestürzt, die Balken hatten dem letzten Sturm nicht standgehalten.
    Schritte knirschten auf den morschen Holzbohlen, ein Rascheln, Brennnesseln wurden zur Seite geschoben.
    Der Mann musste vorsichtig sein, wenn er nicht stolpern wollte. Die knorrigen Wurzeln überzogen den Boden wie ein gigantisches Spinnennetz, stellenweise waren sie im Unkraut verborgen. Er erreichte den Weg zum Badehaus, vergrub die Hände in den Manteltaschen und blieb stehen.
    Als er weiterlief, langsam, den Blick starr auf den Boden gerichtet, hatte er nichts Beängstigendes oder gar Gespenstisches an sich. Er wirkte nur einsam, fast verlassen unter den hohen Bäumen, inmitten dieser Wildnis.
    Nur mit seinen Augen stimmte etwas nicht.
    Nein, sie waren nicht vom Salz verätzt wie die Augen des toten Fuhrknechts.
    Es war eine Krankheit, die sie von innen auffraß.
    Die hohe Tür des Badehauses öffnete sich mit einem weinerlichen Kreischen.
    Drüben, am anderen Ende des Kurparks, antwortete ein Käuzchen.
    Lautlos schloss sich die Tür.
    Das Käuzchen verstummte.
    Jan Czernyk war verschwunden.

Teil Drei
    Sechzehn
    Über Nacht kam der Frost.
    Die Dächer der Stadt glitzerten unter einer hauchzarten Eisschicht, Raureif bildete sich auf den Wiesen. Ein betrunkener Elektriker rutschte nach einem Kneipenbesuch aus und lag stundenlang in einer Seitenstraße neben der Marktkirche. Der Müllmann, der die Leiche in den frühen Morgenstunden neben einer Papiertonne fand, musste mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Hochstraße, erst seit wenigen Stunden wieder für den Verkehr freigegeben, wurde erneut gesperrt. Blitzeis hatte sich gebildet, ein Kleinbus war ins Schleudern geraten und hatte die gerade erst erneuerte Leitplanke gestreift.
    Diejenigen, die das Pech hatten, in den frühen Morgenstunden unterwegs sein zu müssen, beeilten sich, bestrebt, der Kälte, die sich in Gesicht und Händen festbiss, so schnell wie möglich zu entkommen.
    »Scheißding!«
    Einer von ihnen war Claudius Zorn. Er stand gebeugt über der Motorhaube des Volvos und schabte das Eis von der Frontscheibe, leise fluchend, weil er zu faul gewesen war, den Wagen in die Tiefgarage zu fahren. In Ermangelung eines Eiskratzers versuchte er es mit einer leeren CD-Hülle aus dem Handschuhfach. Besonders gut funktionierte das nicht.
    Der Motor lief, Zorn hatte das Gebläse auf die höchste Stufe gestellt. Es war dunkel, bis zum offiziellen Dienstbeginn war es noch eine Weile hin, trotzdem rubbelte er hektisch über das Glas. Er wollte los, ins Präsidium. Und zwar schnell.
    Bisher hatte er nur ein kleines Stück freigelegt, ungefähr von der Größe eines Fußballs. Das musste reichen, entschied Zorn, blies in die klammen Hände und stieg ein. Im Innenraum war es warm, sofort beschlug seine Brille. Er warf sie auf den Beifahrersitz, legte den Gang ein und fuhr los.
    Das, was Hauptkommissar Zorn zu dieser nachtschlafenden Zeit antrieb, dieser unbekannte, fast euphorische Eifer, resultierte aus einer einfachen Tatsache: Claudius Zorn hatte eine wichtige Entdeckung gemacht. Er war es gewesen, der gestern in den Akten einen Namen gefunden hatte. Ein paar Buchstaben nur, doch dieser Name lenkte die Ermittlungen in eine völlig neue Richtung. Ihm, Claudius Zorn, war es zu verdanken, dass sie einen großen Schritt vorangekommen waren.
    Sie wussten nun, dass es beim Prozess gegen Elias de Koop einen Beobachter gegeben hatte. Einen Polizisten, der gegen diesen Mann ermittelt hatte und später bei der Verhandlung anwesend war. Elias de Koop war freigesprochen worden, der Polizist war jetzt verschwunden.
    Er hieß Jan Czernyk.
    Zorn glaubte zu wissen, was zu tun war. Welche Beweise Czernyk gegen de Koop gesammelt hatte, stand nicht in den Akten, aber auch das würden sie herausfinden, da war Zorn sicher. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Er hielt das Lenkrad fest umklammert, beugte sich vor, so weit, dass seine Nase

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