Zorn - Wo kein Licht
wegschicken dürfen, es tut mir leid!« Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor, wurden schneller, überschlugen sich. »Mein Vater kennt den Chef der Augenklinik, wir können da jederzeit hingehen. Und wenn sie dir dort nicht helfen können, bin ich da, ich kümmere mich um dich, auch wenn du wirklich«, ihre Stimme zitterte, »blind wirst. Ich hab mich krankschreiben lassen, ich bin zu Hause, komm her, wir müssen reden Jan, unbedingt, oder sag mir, wo du bist, ich komme zu dir, ich …«
»Hör mir zu, Frieda.«
»Alle suchen nach dir, Jan! Sie denken, du hättest etwas mit diesen Morden und den Entführungen zu tun, und bei der Arbeit warst du auch nicht, die wollen nach dir …«
»Du sollst mir zuhören.«
Sie schluchzte.
»Sag mir, dass du das alles nicht getan hast!«
»Wir werden uns bald sehen«, sagte Czernyk, Wort für Wort betonend. »Aber ich muss noch was erledigen.«
»Was musst du erledigen? Was?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber es ist bald vorbei.«
Schweigen.
»Bist du noch dran, Frieda?«
»Ja.« Sie begann zu weinen, bettelte wie ein Kind. »Du hast niemanden umgebracht, das darf einfach nicht sein!«
»Wer behauptet, dass ich jemanden getötet habe?«
Sie antwortete nicht. Er hörte, wie sie sich die Nase putzte.
»Es geht um Gerechtigkeit, Frieda. Ich weiß, dass das abgedroschen klingt, aber du kannst mir glauben, dass ich nicht anders kann. Irgendwann werde ich es dir erklären.«
»Wann?«
»Bald.«
»Bitte, Jan, Ich will dich sehen! Egal, was du vorhast, lass es sein!«
»Das geht nicht.«
»Verdammt nochmal«, schrie sie. »Warum rufst du mich dann an?«
»Weil ich dich liebe.«
Czernyk unterbrach das Gespräch.
*
Die Scheibenwischer fuhren quietschend über die Frontscheibe. Zorn blinkte und bog auf den Parkplatz vor dem Präsidium.
»Erzähl mir, was damals passiert ist«, sagte er und hielt neben der alten Kastanie. Die letzten Blätter waren zu Boden gefallen. Es dauerte eine Weile, bis Schröder antwortete, während der letzten Minuten hatte er still aus dem Fenster gesehen.
»Mit Rüdiger?«, fragte er.
»Dein Vater gibt dir die Schuld an seinem Tod, oder?«
Schröder löste den Sicherheitsgurt.
»Jetzt nicht. Später.«
»Wie du meinst.«
Zorn zog die Handbremse an, sie stiegen aus. Dünner Regen wehte wie ein Schleier über dem Parkplatz.
»Ich geh schon mal vor, du willst bestimmt noch rauchen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, lief Schröder los. Dann wandte er sich noch einmal um.
»Was ist?«, fragte Zorn, die Zigarette bereits zwischen den Fingern.
»Danke.«
»Ich hab doch gesagt, du musst dich nicht …«
»Das weiß ich«, unterbrach Schröder. »Es ist gut, dass ich das nicht allein durchstehen musste.«
Dann war er zwischen den Streifenwagen verschwunden.
Guck mal einer an, dachte Zorn ein wenig irritiert.
Ein seltenes Hochgefühl stieg in ihm auf, eine Art Glück, es machte ihn froh.
Es tat ihm gut. Sehr gut sogar.
Das sollte sich schlagartig ändern, als eine Gestalt hinter dem Stamm der Kastanie hervortrat und langsam nähergeschlendert kam.
Zorn öffnete den Mund, doch mehr als ein erschrockenes Grunzen brachte er nicht zustande.
»Ich denke«, sagte Jan Czernyk, »wir haben einiges zu besprechen, oder?«
Dreiundzwanzig
»Ich bin hier, weil ich mit Ihnen reden will. Aber ich knüpfe dieses Gespräch an eine Bedingung.«
»Sie sind nicht in der Lage, Forderungen zu stellen, Czernyk.«
Sie saßen in einem der Verhörräume im Erdgeschoss. Die Wände waren in Senfgelb gestrichen, ein einfacher Holztisch mit zwei braunen Ledersesseln sollte den Anschein einer ungezwungenen Atmosphäre erwecken. Nur die fehlende Türklinke und die schmalen Fenster dicht unter der Decke deuteten darauf hin, dass erhöhte Sicherheitsvorschriften galten. Neben der Tür war ein breiter Spiegel in die Wand eingelassen, dahinter lag der Kontrollraum, eine stickige Kammer, von wo aus die Gespräche überwacht wurden.
»Ich möchte nicht, dass Frieda …« Czernyk stockte. »Frau Borck«, korrigierte er sich, »von dieser Unterhaltung erfährt. Vorerst jedenfalls.«
Auf dem Tisch stand das Mikrophon eines Aufnahmegerätes. Zorn schob es ein wenig zur Seite. »Die Staatsanwältin hat sich krank gemeldet. Sobald sie wieder zum Dienst erscheint, wird sie informiert.«
»Das genügt mir.«
Czernyk lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Also«, fragte Zorn, »warum sind Sie hier?«
»Weil ich mit Ihnen reden will.«
»Das habe ich
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