Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zorn

Zorn

Titel: Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
Platz, seine Schultern und Hüften zu bewegen, war jedoch praktisch nicht zu sehen. Sie konnten ihn nur finden, wenn sie eine Leiter hochkletterten und mit einer Taschenlampe herunterleuchteten …
    Wenn sie das taten, war er allerdings verloren.
    Während er in der Dunkelheit auf die Schritte der sich nähernden Polizisten lauschte, spürte er, wie seine Muskeln sich vor Angst und Wut verkrampften. Wenn sie ihn entdeckten, steckten sie ihn ins Krankenhaus, und da würde man wieder Experimente mit ihm machen wie früher. Experimente …
    Als die Bullen ihn freigesetzt hatten, war ihm klar gewesen, dass sie ihm keine Ruhe lassen würden. Scrape war verrückt – das wusste und bedauerte er, ließ sich aber nicht ändern –, jedoch nicht dumm. Wenn sie die Mädchen nicht bei einem anderen fanden, konzentrierten sie sich wieder auf ihn. Er eignete sich einfach zu gut als Ziel, und seiner Erfahrung nach suchten sich Cops, wenn sie es nicht schafften, einen Fall zu lösen, jemanden, dem sie die Tat anhängen konnten.
    Das wussten alle Penner. Scrape war so oft wegen nichts und wieder nichts verhaftet worden, einfach, weil er sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten hatte, dass er kein Vertrauen mehr in Ehrlichkeit und die Fähigkeiten der Polizei hatte.
    Was für einen Sinn hatte es, ihn vor Gericht zu stellen? Er besaß kein Geld. Ihn ins Gefängnis zu stecken brachte ebenfalls nichts, warum also machten sie es?
    Weil Bullen das nun mal taten, dachte er. Bestimmt wurden sie danach beurteilt, wie viele Leute sie einsperrten. Und ihn zu erwischen war leicht.
    Am Abend zuvor hatte er sie ausgetrickst, war nach Einbruch der Dunkelheit durch ein Seitenfenster hinausgeschlüpft, wie ein Schatten an der Hecke entlang und über den Hof geschlichen und hatte sich einen Kilometer weit hinter den Häusern gehalten, bevor er in Richtung Fluss schwenkte. Er hatte geglaubt, im Tunnel eine Weile sicher zu sein, aber jemand hatte ihn verraten …
    Sie würden ihn wieder ins Krankenhaus stecken, ihn ans Bett schnallen und ihre Experimente machen. Er schloss die Augen und versuchte sich einzureden, dass sie nicht da waren.
    Die Alpträume. Sie wurden Realität.
    Die Polizisten bewegten sich wie ein ungeschicktes Höhlenforscherteam von National Geographic, platschten durch Wasserpfützen, stolperten fluchend über Schutt und verrottendes Holz, leuchteten mit ihren Taschenlampen herum, erkundeten die Gänge, die nach links und rechts führten. Einer hatte eine goldbraune Wand. Plötzlich begann diese Wand zu zucken, und der Polizist, der ihr am nächsten war, wich entsetzt zurück.
    »Gütiger Himmel, das sind Kakerlaken, Millionen von den Viechern.«
    »Nicht anfassen …«
    Sie machten einen Bogen um die Wand.
    Tiefer im Tunnel entdeckten sie weitere Fußabdrücke, die Lucas nun am runden Fersenmuster erkannte – Laufschuhe.
    Chip führte sie einen Gang entlang, dann durch einen schmalen natürlichen Spalt, der halb mit Erde gefüllt war. Unter der knapp eins fünfzig hohen Decke mussten sie sich ducken, bis sie ein Loch im oberen Bereich eines trockenen Überlaufkanals erreichten. Als sie mit ihren Lampen hineinleuchteten, sahen sie ein weiteres Rinnsal und noch mehr Sand, allerdings ohne Fußspuren.
    »Möglicherweise war er hier, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er ohne Spuren durch das Wasser gekommen ist«, sagte Chip.
    »Wenn doch, hätte er aus der Höhle fliehen können, stimmt’s?«
    »Ja. Er wäre irgendwo in der Stadt durch einen lockeren Kanaldeckel rausgeklettert oder dem Tunnel zum Fluss gefolgt, aber der Ausgang ist blockiert.«
    Lucas schaute in beide Richtungen. »Er schafft’s nicht mal, mit einem Basketball zu dribbeln, also ist er bestimmt nicht hier runtergesprungen, ohne Spuren zu hinterlassen. Kehren wir um.«
    Die Kollegen waren unterdessen in einen höhlenartigen Raum weitergegangen, der gut und gern ein Verlies im Schloss eines postindustriellen Vampirs hätte sein können. In der Düsternis war die Decke nicht zu erkennen; es wimmelte von verrosteten Rohren und Stahlträgern. Dazu zwei Schächte mit Metallleitern und handgelenkdicken Seilen, die sich in der Dunkelheit verloren.
    »Die führen hoch zum Kraftwerk«, erklärte Chip. »Man kann rauf, aber der Ausgang oben ist versperrt, seit sich vor ein paar Jahren Penner dort eingenistet haben.«
    »Da sind Fußabdrücke«, rief jemand.
    Die Spuren, denen sie auf dem Weg hinein gefolgt waren.
    »Gibt’s von hier irgendeinen Weg nach

Weitere Kostenlose Bücher