Zorn
sonderlich groß, aber es hatte einen Schreibtisch mit einem richtigen Bürostuhl sowie zwei Ledersessel mit Beistelltischchen. Alle bis auf Sam waren noch wach, als Lucas und Del zurückkamen. Lucas holte zwei Bier für sich und Del, mit denen sie sich ins Arbeitszimmer zurückzogen.
Lucas nahm einen Stapel Papiere aus seiner Aktentasche, die Kopien von seinen Berichten über die damaligen Ermittlungen im Jones-Fall. »Neunundneunzig Prozent dessen, was sich in den Akten der Kollegen in Minneapolis befindet, ist unbrauchbar, weil sie sich auf Scrape eingeschossen hatten. Ich war der Einzige, der die Sache mit John Fell verfolgt hat, leider ohne recht zu wissen, was ich tue.«
»Du hast das ziemlich gut gemacht«, sagte Del.
»Nein, ich hab’s versaut. Bitte lies die Berichte durch. Ich glaube nicht, dass mir was entgangen ist, aber man kann nie wissen …«
Sie tranken ihr Bier, während sich Del die Berichte zu Gemüte führte. Einmal bemerkte er: »Hast gar nicht so schlecht Maschine geschrieben damals.«
»Hab ich mir selbst beigebracht. Mit einem Buch.«
»Wusste ich gar nicht.«
Weather schaute kurz herein, um ihnen mitzuteilen, dass sie schlafen gehen würde, und dann erkundigte sich Letty, ob sie etwas tun könne, doch Lucas schickte sie ebenfalls ins Bett.
Schließlich hob Del den Blick. »Mir fällt nichts Besonderes auf.«
»Hör dir die Kassetten an«, bat ihn Lucas. »Das hier sind Kopien von den 911-Anrufen.«
Del hörte sie sich an. »Klingt, als wär’s beide Male derselbe Typ gewesen.«
»Ja. Die Anrufe kamen von unterschiedlichen Telefonzellen in derselben Gegend.«
Sie diskutierten die Theorie, dass Fell an einer Schule unterrichtet und möglicherweise in einer Fabrik im Norden gearbeitet hatte. Plötzlich richtete Del sich auf und schnippte mit den Fingern. »Hey, mir kommt da ein Gedanke. Wie alt, denkst du, war er damals?«
»Mitte zwanzig, vielleicht ein bisschen älter. Haben jedenfalls die Leute in der Bar behauptet.«
»Die meisten Leute sind damals mit achtzehn aufs College und haben den Abschluss nach vier Jahren gemacht.«
»Und?«
»Was, wenn er gar kein richtiger Lehrer war?«, fragte Del. »Sondern nur mal Gaststunden gegeben hat? Dann existieren bei den Schulen vielleicht nicht mal Unterlagen darüber. Das hieße, dass sie ihn gar nicht richtig gefeuert, sondern einfach weggeschickt haben. Dann müssten wir versuchen, seinen Namen anderswo herzukriegen. Von der Uni oder so.«
»Keine schlechte Idee. Darauf setze ich Sandy gleich morgen früh an.«
Als ihnen um ein Uhr morgens nichts mehr einfiel, machte Del sich auf den Heimweg.
»Kommst du zurecht?«, fragte er an der Tür.
»Eher nicht«, antwortete Lucas. »Daran werde ich eine Weile zu knabbern haben.«
»Einige Leute machen sich Sorgen um dich«, erklärte Del. »Wir wollen nicht, dass du eine Dummheit begehst.«
»Himmel, nun habt doch ein bisschen Vertrauen«, sagte Lucas. »Ich bin durcheinander, aber nicht verrückt.«
Als Del sich verabschiedet hatte, ging Lucas zurück ins Arbeitszimmer, überflog noch einmal alle Unterlagen und kam zu dem Schluss, dass die Informationen nicht ausreichten. Sie hatten die Stimme des Killers, doch die half ihnen nur, wenn sie ihn aufspürten.
Das Gleiche galt für sein Gesicht – vielleicht konnten Kelly und Todd Barker ihn identifizieren, aber zuerst mussten sie ihn finden. Wenn sie ihn hatten, würde die DNS von seinem Blut ihn überführen.
Lucas steckte die Kassetten gerade in seine Aktentasche, als ihm ein Gedanke kam. Die Stimme konnte ihnen im Moment nicht weiterhelfen, aber was war mit dem Timing der Anrufe? Er überprüfte die Zeiten, konsultierte noch einmal seine Aufzeichnungen sowie die Zusammenfassungen der anderen Ermittler. Die Hinweise auf Scrape und seinen Aufenthaltsort waren genau zu dem Zeitpunkt hereingekommen, als die Ermittlungen mangels neuer Informationen auf der Stelle traten.
Während der Suche nach Scrape hatten sie einen Hinweis auf den Ort erhalten, an dem er hauste und den Lucas bereits ausfindig gemacht hatte.
Dann war Scrape freigelassen worden, und sofort hatten sie den Tipp mit der Kleiderschachtel im Müllcontainer erhalten, der sie davon überzeugte, dass der Obdachlose der Täter war.
Die beiden Anrufe waren vom Killer höchstpersönlich gekommen.
Und zwar so, als hätte der Insiderwissen über die Ermittlungen gehabt.
Lucas schaltete die Leselampe aus und schloss die Augen.
In seiner Zeit bei der Polizei von Minneapolis
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