Zorn

bärtiger Schütze, möglicherweise der Mörder der Jones-Schwestern, hat heute Abend eine Polizistin aus Minneapolis erschossen und einen anderen Polizisten sowie Todd Barker, den Mann von Kelly Barker, verletzt, die vermutlich 1991 in Anoka schon einmal von demselben Täter angegriffen wurde. Officer Buster Hill verbringt die Nacht unter medizinischer Beobachtung, Todd Barker liegt in kritischem Zustand im Fairview-Southdale Hospital in Edina …«
    Der Killer lauschte, wie die Reporterin die Schießerei schilderte und einen Sprecher der Polizei interviewte, der erklärte: »Wir vermuten, dass Officer Hill den Angreifer angeschossen hat, weil wir Blutspuren entdeckt haben. Proben davon werden zum SKA gebracht, wo …«
    Dann sagte der Sprecher der Polizei das Wort, vor dem der Killer panische Angst hatte, das Wort, das ihn nach Thailand getrieben hatte.
    »… die DNS ermittelt wird. Wenn wir ihn aufspüren, können wir damit seine Identität zweifelsfrei feststellen, und dass wir ihn finden, ist unserer Ansicht nach nur noch eine Frage der Zeit.«
    Der Killer wusste alles über DNS. DNS erschien ihm wie eine Wolke, die alles kontaminierte, womit sie in Berührung kam. Anhand der DNS konnte man überführt werden. Er richtete sich auf, starrte den Fernseher an, hätte ihn am liebsten laut angebrüllt oder mit den indischen Keulen auf den Bildschirm eingedroschen, doch er tat es nicht.
    Immer wieder ging ihm DNS, DNS, DNS durch den Kopf, wie ein Mantra …
    Er musste hier weg, dachte er. Weg von dem Gestank, von den blinkenden Lichtern der Porno-Server, dem Trödel, der überall herumlag. Weg von diesem Scheißleben. Er musste einen Unterschlupf finden, wo er genesen konnte.
    Musste sich ein Kissen über den Kopf halten, um nichts mehr zu hören und zu sehen.
    Musste sich verkriechen.

NEUNZEHN
    Am nächsten Morgen wimmelte es im Polizeirevier von Minneapolis von aufgeregten Menschen. Lucas bahnte sich einen Weg zur Mordkommission und zum Ausbildungszimmer, in dem an den Wänden Fotos von sämtlichen Abschlussklassen der Polizeischule hingen.
    Alle Leute, die Lucas seinerzeit im Zusammenhang mit den Jones-Morden zu Fell befragt hatte, waren sich einig gewesen, dass dieser zwischen Mitte und Ende zwanzig sei, höchstens dreißig. Folglich konnte er die Polizeischule kaum vor Mitte oder Ende der Siebziger absolviert haben und nicht mehr als zehn Jahre lang Cop gewesen sein.
    Lucas ging zehn Abschlussklassen durch und notierte die Namen der zukünftigen Polizisten, die die meiste Ähnlichkeit mit der Beschreibung von Kelly Barker hatten. Es waren nicht viele. Der Killer sei grobschlächtig gewesen, hatte sie gesagt, und er habe sehr dunkle Haare gehabt, fast wie ein Südländer, seine Haut jedoch sei hell gewesen.
    Aus zehn Jahrgängen wählte Lucas neun mögliche Kandidaten und ging zum Büro von Deputy Chief Marilyn Barin, der Leiterin des Professional Standards Bureau, dem auch die Interne Ermittlungsbehörde unterstand. Sie war in Lucas’ Alter und hatte sich vom Streifendienst hochgearbeitet. Lucas und sie mochten sich, ohne wirklich Freunde zu sein; mit Marcy war sie oberflächlich befreundet gewesen.
    Sie hob den Blick, als Lucas an den Türrahmen klopfte. »Lucas. Hab mir schon gedacht, dass du vorbeischauen würdest. Es ist schrecklich.«
    Lucas setzte sich auf einen Stuhl. »Ich habe damals im Fall Jones ermittelt und gedacht, ich hätte einen Hinweis auf den Killer. Aber das konnte ich vergessen, als ein Obdachloser belastet wurde. Am Ende hat sich rausgestellt, dass wir uns getäuscht hatten – der Mörder von Marcy hat auch die Jones-Schwestern und wahrscheinlich noch ein paar Mädchen mehr auf dem Gewissen.«
    Marilyn Barin nickte. »Ich hab von deiner Theorie gehört. Bist eben immer schon ein cleveres Kerlchen gewesen.«
    »Das bin ich tatsächlich, und inzwischen ist es weit mehr als eine Theorie. Die Sache sieht folgendermaßen aus …«
    Er erklärte den Ablauf der ursprünglichen Ermittlungen und schilderte die 911-Anrufe, die sie zu Scrape geführt hatten. »Ich vermute, dass der Täter Kontakt zur Polizei hatte oder vielleicht sogar selbst Polizist war. Der Schütze gestern hat laut Aussage von Buster Hill eine Glock verwendet. Ich habe eine Liste mit Namen von Cops und Ex-Cops und würde dich bitten, ihre Personalakten und die Akten der Internen Ermittlungsstelle zu überprüfen, damit ich weiß, ob ich auf dem richtigen Weg bin.«
    Marilyn Barin überlegte kurz. »Das muss ich mit dem Chef