Zornesblind
sich. »Das ist alles, was wir haben, Detective. Sollte etwas fehlen, so ist es leider irgendwo im System hängen geblieben.« Er rückte an seiner Brille herum und ergänzte: »Bevor er zu uns kam, war Billy auch bei Army-Psychologen in Ottawa in Behandlung. Er war noch mehrmals dort. Von diesen Sitzungen habe ich kein Protokoll. Ich habe damals zwar Kopien angefordert, aber nie welche bekommen. Was mich nicht wirklich überraschte. Erstens war da der finanzielle Aufwand, zweitens hält die Army ihre Dokumente gern geheim.«
Striker blätterte durch den Ordner. Es gab etliche zeitliche Lücken. »Was ist mit den fehlenden Seiten?«
Dr. Ostermann zuckte die Achseln. »Billy googelte jahrelang, bis er mich fand. Bei mir war er seit knapp drei Jahren in Behandlung – der Zeitraum ist in dieser Akte oder in der in Riverglen lückenlos dokumentiert. Es gibt leider zwei Akten. Er wurde dort eingeliefert und musste eine ganze Weile bleiben.«
Die beiden Cops tauschten Blicke aus. Dann meinte Striker: »Das heißt, Billy konsultierte hier noch einen anderen Arzt?«
»Ja, sicher. Vor mir konsultierte Billy etliche andere Ärzte. Ehrlich gesagt, bin ich da nicht umfassend informiert. Ich weiß nicht mal genau, welche anderen Akten es noch gibt. Billy geisterte überall im System herum. Ich hab mein Bestes versucht. Und bin kläglich gescheitert.«
Nach diesem entwaffnenden Eingeständnis sackte Dr. Ostermann förmlich in sich zusammen. Hinter ihm tat die Rezeptionistin so, als hätte sie nichts gehört, ihre rot angelaufenen Wangen signalisierten jedoch, wie peinlich ihr das Ganze war.
Eine längere Pause entstand. Striker wartete gespannt auf weitere Enthüllungen von Dr. Ostermann, doch der Mann blieb stumm wie ein Fisch. Nach einer Weile gab Striker seiner Partnerin ein Zeichen, woraufhin sie die Gesprächsführung übernahm.
»Kannte Billy Dr. Richter?«, begann sie.
Dr. Ostermann blinzelte verblüfft. Dr. Richter? Ja, natürlich. Von den wenigen Therapiesitzungen, an denen ich verhindert war. Dann hat Dr. Richter für mich übernommen. Aber das waren seltene Ausnahmen.«
»Es hat sie aber gegeben?«, hakte Striker nach.
»Ja, ein paarmal.«
»Nun, wir haben mehrfach versucht, Dr. Richter zu erreichen …«
»Dr. Richter ist nicht da«, erwiderte Dr. Ostermann. »Hat Urlaub genommen. Irgendwas Privates. Ich frage da nicht nach. Ich hab lediglich die Handynummer, die man Ihnen auch gegeben hat. Hinterlassen Sie doch einfach eine Nachricht, hab ich auch so gemacht.«
»Ich auch, und nicht bloß eine«, gab Striker zurück.
Zwischen Dr. Ostermanns Brauen schob sich eine steile Falte. »Wie bedauerlich. Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun.«
Hohles Geschwätz, dachte Striker bei sich.
»Noch eine letzte Sache«, sagte er. »Vor dem Schusswechsel mit Billy, was haben Sie da hier im Mapleview gemacht?«
Dr. Ostermann fixierte Striker verständnislos. »Ich hab Klinikberichte sortiert. Wir sind gerade dabei, die alten Akten zu archivieren. Eine Sisyphusarbeit, das kann ich Ihnen sagen.«
Striker nickte. »Interessant. Als ich Sie gestern fragte, ob Sie hier arbeiten würden, verneinten Sie das.«
»Ich hab das verneint?«, gab Ostermann zurück. Er nahm die Brille ab, zog ein Seidentuch aus seiner Reverstasche und putzte damit die Gläser. »Das ist so nicht ganz korrekt, Detective. Ich sagte neulich zu Ihnen, dass ich nicht mehr hier praktiziere. Ich habe allerdings in der Vergangenheit hier praktiziert. Inzwischen kümmere ich mich intensiver um den Verwaltungsapparat. Mapleview ist schließlich ein Teil des EvenHealth-Projekts.«
»Dann hab ich da wohl was falsch interpretiert.«
»Muss wohl.«
»Mein Fehler.«
Die beiden Detectives verabschiedeten sich von dem Mediziner. Als das Portal hinter ihnen zuschwang und sie in den dunklen, eisig kalten Abend hinaustraten, meinte Striker: »Und, was hältst du von seiner Argumentation?«
»Ich sag bloß: Alles gequirlte Kacke, was der Doc da rausgelassen hat. Als wollte er uns ganz bewusst irreführen.«
Er nickte. »Das sehe ich genauso. Irgendwas stimmt mit dem Mann nicht. Ich denke, es wird höchste Zeit, dass wir ihn zur obersten Priorität erklären.«
»Observierung?«, fragte Felicia.
Striker schenkte ihr ein breites Grinsen. »Ja. Zeit für meine Lieblingsbeschäftigung: Personenüberwachung.«
60
Inzwischen war es sechs Uhr und auf den Straßen die Hölle los. Als sie wieder einmal im Stau standen, kurbelte Felicia ihren Sitz ein
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