Zornesblind
zu.
Bevor sie das Krankenhaus betraten, rief der Detective ihre Kollegin Sue Rhaemer an. Er erklärte ihr, dass sie beschlossen hatten, sich Billys Akten zu holen. Sue wiederum wollte die Polizei von Coquitlam informieren, dass sie eine Streife zum Riverglen schickten.
Als er auflegte, wiegte Felicia skeptisch den Kopf. »Ich weiß, dass du das jetzt nicht hören willst. Aber wir sollten uns vorher wirklich besser einen richterlichen Beschluss holen.«
»Dafür haben wir keine Zeit.«
»Das Gericht wird das anders sehen und argumentieren, wir hätten alle Zeit der Welt gehabt. Schließlich ist Mercury tot, wieso muss man da was überstürzen? Wenn wir ohne diesen Beschluss vorgehen, werden die Richter uns alles um die Ohren hauen, was wir in den Unterlagen finden. Und sie werden unter Umständen nichts davon als Beweismittel zulassen.«
»Das Zauberwort heißt ›zwingende Umstände‹, Feleesh.«
»Zwingend? Wieso? Der Mann ist tot.«
»Und wir haben Zweifel daran, dass er allein handelte.«
»Haben wir das?« Sie schoss ihm einen höchst skeptischen Blick zu.
»Ich hab jedenfalls erhebliche Zweifel daran.« Er erläuterte es ihr. »Diese beiden Anrufe in Billys Wohnung haben mich stutzig gemacht. Einer direkt nach unserer Abfahrt vom Mapleview, der andere gleich bei unserer Ankunft in Billys Wohnblock. Als hätte uns jemand beobachtet. Das ist mir mächtig aufgestoßen. Okay, wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit sagen, ob noch jemand mit drinhängt, aber wenn, dann kannst du Gift darauf nehmen, dass derjenige alles tun wird, um belastendes Material zu vernichten. Ich hol mir jetzt die Akte, bevor mir jemand zuvorkommt.«
»Eine schöne Rede, Martin Luther King«, ätzte Felicia. »Gib doch zu, du bist verdammt neugierig, was in der Krankenakte steht.«
Striker grinste. »Erraten.« Er hielt ihr die Tür auf. »Nach dir, Prinzessin.«
Sie lächelte. »Wenigstens weißt du, wo dein Platz ist.«
Sie glitt durch das Eingangsportal, gefolgt von Striker.
In der Eingangshalle beschlich Striker ein sonderbares Déjà-vu-Gefühl. Albtraumhaft surreal. Es war erst zwei Stunden her, dass er hier durch die Gänge getobt war und die Rezeptionistin angewiesen hatte, sämtliche Fenster und Türen zu schließen. Dann hatten sie sich Ostermann geschnappt und ihn als Vermittler mitgeschleppt. Zu den Safe Haven Suites. Zu Billy. Inzwischen erschien das alles wie ein böser Traum.
Und in gewisser Hinsicht war es das auch.
Striker verlangsamte den Schritt, schaute auf die Wanduhr und lehnte sich schwer gegen das Treppengeländer. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste ihn, vermutlich spielte sein Blutdruck mal wieder verrückt.
Felicia bemerkte es. »Hey. Alles okay mit dir?«
»Ich brauchte bloß einen kleinen Augenblick zum Verschnaufen«, sagte er, machte aber keinerlei Anstalten weiterzugehen.
Felicias besorgtes Gesicht ignorierend, schaute er sich um. Alles erschien ihm mit einem Mal dunkler. Die Wände schienen höher, die Korridore enger. Direkt vor ihnen war die Klinikrezeption, dahinter schloss sich ein Raum mit einer Glastür an. Durch die Scheibe sah Striker eine Regalwand mit Aktenordnern.
Das Archiv.
Er zeigte darauf und meinte: »Die Krankenakte von Billy Mercury ist bestimmt da drin – falls sie nicht bereits entsorgt wurde.« Er ging weiter, durch das Foyer zur Rezeption. In diesem Moment kam die Rezeptionistin, mit der er am Nachmittag gesprochen hatte, aus dem Archivraum. Ihre Züge wirkten abgespannt, ihre Augen müde. Kaum erkannte sie ihn wieder, hielt sie so abrupt in der Bewegung inne, dass sie fast auf den glatten weißen Bodenfliesen ausgeglitten wäre.
»Oh. Detective.« Sie blickte abwechselnd von Striker zu Felicia. »Ich hab gehört, was da passiert ist. Mit Billy. Und, tja … traurig, wirklich traurig.« Während sie sprach, umkrampfte sie mit den Fingern eine Akte, ihre langen, roten Fingernägel gruben sich in den weißen Karton.
Striker las die Beschriftung auf dem Rücken: William Stephen Mercury.
»Wohin wollen Sie mit dieser Akte?«, fragte er.
Die Schwester blinzelte, als erwachte sie aus einem schlimmen Traum, dann blickte sie auf den Ordner in ihrer Hand. »Damit? Ah ja. Ähem … Dr. Ostermann wollte sie haben. Er möchte sich den Verlauf der Krankengeschichte nochmal ansehen. Herausfinden, was da schiefgelaufen sein kann. Ob es Warnsignale gab, die er möglicherweise nicht erkannt hat. Er ist außer sich wegen dieser Geschichte und macht sich
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