Zornesblind
den Verkehr auf der West Avenue ein. In Richtung Point Grey.
Dort wohnten die Ostermanns.
20
Die Villa der Ostermanns erstreckte sich auf einer Anhöhe über der Belmont Avenue mit einer grandiosen Aussicht über den blau glitzernden Burrard Inlet, einen in der Eiszeit entstandenen Fjord. Das weitläufige Grundstück, eingebettet in die wild romantische Landschaft der Endowment Lands, lag vor Blicken geschützt hinter Ahornriesen und japanischen Pflaumenbäumen.
Als Striker auf das Haus zufuhr, erspähte er den schwarzen BMW X5 in der Auffahrt, direkt hinter dem Eingangstor. Er bremste ab, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.
Das Anwesen war wirklich beeindruckend. Alles vom Feinsten, Geld spielte keine Rolle. Die Villa im Kolonialstil war aus hellem Sandstein und wurde von schlanken Steinsäulen flankiert. Eisengeschmiedete, antik anmutende Laternen beleuchteten die Auffahrt und einen japanischen Steingarten mit Marmorskulpturen und einem großen Springbrunnen in der Mitte. Die Fontäne war abgestellt.
»Um hier zu wohnen, musst du schon mit einem Silberlöffel im Mund geboren werden«, bemerkte Striker. »Das ist Reichtum . Nicht kleckern, sondern klotzen.«
Vertieft in ihre Computerdateien, blieb Felicia ihm eine Antwort schuldig. Schließlich entfuhr ein frustriertes Puh ihrer Kehle.
»Du klingst gefrustet«, meinte Striker.
»Bin ich auch«, muffelte sie. »Ich hab auf der Fahrt hierher alles über diesen Erich Ostermann gecheckt. Abgesehen davon, dass er wie ein Henker fährt, ist der Doc so was wie eine männliche Mutter Teresa.«
»Hä? Kannst du mir das mal genauer erläutern?«
»Also, nach dem, was hier steht, ist Erich Ostermann ein sehr renommierter und in Kollegenkreisen hoch geschätzter Psychiater. Er hat etliche Auszeichnungen für seine Verdienste um exzellentes Klinikmanagement und das Gemeinwesen bekommen – der Typ ist bekannt für seine großzügigen Spenden. Sein Ruhm gründet jedoch nicht zuletzt in der Tatsache, dass er der Arzt ist, der EvenHealth ins Leben rief.«
»EvenHealth … hab ich schon mal irgendwo gehört.«
»Kein Wunder. Davon liest man neuerdings dauernd. Das ist so was wie eine Plattform für psychisch Kranke aus Randgruppen, denen die gleichen Therapien ermöglicht werden sollen wie den Reichen.«
»Also geht es um die Behandlung von Armen?«
»Exakt. Und Dr. Ostermann ist der große Zampano der ganzen Geschichte. EvenHealth ist sein geistiges Baby.« Sie las weiter. »Er praktiziert sowohl in seiner Privatpraxis als auch in der staatlich subventionierten Riverglen Mental Health Facility. Das ist die psychiatrische Klinik draußen in Coquitlam.«
»Echt fleißiger Typ.«
»Das ist noch nicht alles«, schob sie nach. »Ostermann berät außerdem das Strathcona Mental Health Team – da waren wir vorhin, unten an der Heatley Avenue –, und er arbeitet bei städtischen Projekten in den ärmeren Gegenden mit, wie denen auf der Raymur Street und am Hermon Drive.« Sie drehte sich zu Striker. »Alles in allem der Lebenslauf eines vorbildlichen und bewundernswürdigen Menschen.«
»Der es mit etlichen psychisch Kranken zu tun hat«, setzte Striker hinzu. »Darunter einige mit Gewaltfantasien, Brutalos und so.«
Felicia fing seinen Blick auf. »Meinst du, der Typ, mit dem du aneinandergeraten bist, könnte ein Patient von ihm sein?«
»Keine Ahnung, da bin ich echt überfragt.«
Eine Pause entstand. Felicia scrollte sich durch die elektronischen Seiten, dann lachte sie belustigt auf. »Tsts, Ostermann spendet sogar für die PMBA .«
Striker horchte auf. »Soll das ein Witz sein?«
»Nein, das steht hier.«
Er zog eine Grimasse. PMBA war die Abkürzung für Police Mutual Benevolent Association. Die Einnahmen dieser polizeilichen Hilfsorganisation dienten der Unterstützung von Cops, die ohne eigenes Verschulden in Not geraten waren, oder flossen in Projekte, die sonst finanziell gar nicht zu stemmen gewesen wären. Inspektor Laroche war ebenfalls schwer involviert bei der PMBA . Ob er und Ostermann sich kannten?, fuhr es Striker kurz durch den Kopf.
Felicia schloss den Laptop. »Das Ganze wird immer abstruser.«
Striker griff an Felicia vorbei und klappte den Laptop wieder auf. »So was hat nicht viel zu bedeuten. Colonel Russell Williams war der Kommandeur unserer größten Militärflotte. Er war ein hoch dekorierter Offizier und neunzehn Jahre lang ein mustergültiger Ehemann – bis sich herausstellte, dass er unschuldige Frauen ermordete und
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