zorneskalt: Thriller (German Edition)
immer gewollt.
Keiner will je etwas anderes.
Irgendwann nachmittags verschwand das Tageslicht wie so oft im Winter: Eben ist’s noch Tag, und dann blinzelt man und sieht, dass es wieder einmal zu früh Nacht geworden ist. Ich spähte durch die Jalousien in die von den Lichtern der Großstadt nur mühsam erhellte Finsternis hinaus. Ich brauchte Luft. Essen, frische Luft. Ich stellte eine Überschlagsrechnung an. Zehn Minuten. Ich konnte in zehn Minuten zurück sein. Dann hatte ich Mantel und Schlüssel und Mobiltelefon in den Händen, war zur Haustür unterwegs, ließ meine Welt des Wartens hinter mir und trat in eine andere hinaus, in der Bewegung und Getriebe und Veränderung herrschten. Die Kälte traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich atmete tief durch, um mich zu beruhigen, bevor ich losmarschierte.
Autoscheinwerfer und Straßenlampen warfen Schatten, die über den Gehweg tanzten. Hupen und Sirenen plärrten, schienen in meinem Ohr zu explodieren. Ich ging weiter, sah mich aber die ganze Zeit um, suchte die Straße nach dir ab.
Am Imbissstand eine Frau vor mir – dick genug, um Stammgast zu sein. Würstchen und Pommes, nein, doch lieber Fish and Chips … aber mit doppelt Pommes. Und eine Cola. Lieber gleich zwei.
Scheiße, beeil dich!
Ich bestellte eine Portion Pommes und würzte sie mit Salz und Essig. Sie waren eigentlich noch zu heiß, aber auf dem Heimweg schaufelte ich sie trotzdem in mich hinein und machte mit halb geöffnetem Mund huh, huh, huh, um sie abzukühlen.
Als ich auf die Kempe Road abbog, sah ich in einiger Entfernung vor mir zwei Personen, die von mir weggingen. Die eine – ein Mann – überquerte die Fahrbahn. Die zweite Gestalt ging geradeaus weiter, an meiner Tür vorbei, schien auf der abfallenden Straße in Richtung Queen’s Park unterwegs zu sein. Dann geriet sie plötzlich außer Sicht, ich lag auf dem Boden, die Pommes vor mir verstreut. Ich sah mich um und entdeckte die verkantete Gehwegplatte.
» Verdammt.«
Nachdem ich mich aufgerappelt hatte, suchte ich nochmals die Straße ab. Dann durchzuckte mich ein Stromstoß, als hätten meine Augen dem Körper etwas gemeldet, bevor ich verstand, was sich ereignete. Die Gestalt, die sich eben noch entfernt hatte, wurde jetzt größer. Sie bewegte sich nicht mehr weg, sondern sie kam auf mich zu, kam näher heran.
Näher und noch näher.
Jemand in der Dunkelheit, den Jackenkragen gegen die Kälte hochgeschlagen. Das Haar unter einer Strickmütze verborgen. Aber der Gang, dieser seltsame Trott, den ich überall erkannt hätte.
Ich ging zu meiner Haustür hinüber, spürte mein Herz bis zum Hals schlagen, fühlte den Puls in meinen Schl äfe n. Und dann sah ich auf und blickte in dein Gesicht.
» Komm lieber mit rein.«
Wir atmeten nicht. Wir schwiegen beide. Selbst unsere Füße machten keine Geräusche, schwebten wie Gespenster durch die Diele.
Die Luft knisterte vor unsichtbarer Spannung, mein Herz klopfte laut, poch, poch, poch. Oder vielleicht war es deines, das ich ebenfalls schlagen hörte. Stereoklang.
Im Wohnzimmer setzten wir uns aufs Sofa. Zwei Sofas standen zur Wahl, aber du setztest dich zu mir auf meines. Das alles geschah wortlos. Wer blinzelt zuerst?
Ich hatte genug von diesen Spielchen, Clara. Ich wollte alles hören, es aus dir herausschütteln. Du hattest Jonny ermordet. Warum? Warum? Warum?
» Willkommen unter den Lebenden«, sagte ich und sah dich erstmals seit deinem Verschwinden wieder genau an. Du sahst aus wie der Tod. Wie passend.
Du sagtest nichts, aber dein starrer Blick ließ mich keine Sekunde los. Deine Augen waren seltsam reflektierend. Ich konnte mich in ihnen sehen. Konntest du dich in meinen Augen sehen?
Du hattest die Mütze abgenommen, unter der wasserstoffblondes Haar mit verräterisch dunklem Ansatz zum Vorschein gekommen war. Du hattest es kurz geschnitten, wie abgehackt. Ich fragte mich, ob du das selbst getan hattest oder ob James es für dich übernommen hatte. Wie romantisch, euer kleines » Wir stellen uns tot«-Spiel.
Unter anderen Umständen hätte ich dir gesagt, das Blond lasse deine Haut müde und blass erscheinen, betone die dunklen Ringe um deine Augen. Es ließ dich wie eine Nutte aussehen, Clara. Aber ich wollte dich nicht provozieren. Außerdem war ich von deiner Erscheinung wie hypnotisiert. Als mächtige Planerin meiner Vernichtung warst du mir in Gedanken so schreckenerregend groß erschienen. Aber jetzt? Jetzt sah ich dich, wie du wirklich warst. Deine Haut
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