zorneskalt: Thriller (German Edition)
den Zettel unter der Tür hindurch.
25
Weltuntergang. So fühlte es sich an. Nichts planen, nicht in die Zukunft blicken, einfach darauf warten, dass alles um einen herum zusammenbricht.
Jake rief aus der Arbeit an. » Bin bis abends bei Außenaufnahmen im tiefsten Essex, ich melde mich, wenn ich fertig bin«, sagte er eilig, was mich in Erinnerung an mein altes Leben wehmütig stimmte. Und dann räusperte er sich, als wolle er noch etwas hinzufügen.
» Was gibt’s?«, fragte ich gereizt.
» Nichts«, sagte er kichernd. » Ich heb’s mir für später auf, es ist eine Überraschung.« Das klang, als sei er sehr mit sich zufrieden.
» Kommst du heute Abend noch vorbei?«, fragte ich.
» Es wird bestimmt spät …«
» Das ist mir egal. Ich will nicht allein sein.«
» Gut, ich komme. Aber, Rachel …«
» Ja?«
» Du brauchst keine Angst zu haben, okay? Dafür sorge ich.« Und dann legte er auf.
Ich stellte ihn mir bei der Arbeit mit einem anderen Reporter vor, und hier saß ich, ohne zu wissen, wann – ob – ich jemals wieder würde arbeiten dürfen. Man hatte mir Sonderurlaub von unbestimmter Dauer aufgenötigt. Meine Bosse hatten darauf bestanden, dass ich Urlaub nahm, bis sich alles geklärt hat, aber eigentlich meinten sie: Bleiben Sie weg, bis wir wissen, dass Sie keine psychotische Killerin sind.
Während die Arbeit mich abgelenkt hatte, war ich jetzt eine Geisel meiner Gedanken, war in ihrem endlosen Mahlstrom gefangen und bereitete mich wieder und wieder auf ständig wechselnde Folgen und Szenarios vor. Das Denken und Planen und Revidieren erzeugte ein unaufhörliches Summen, das sich in meinen Schädel hineinfraß. Ich hätte alles für einen Augenblick Stille gegeben, in dem meine Gedanken mich nicht beherrschten. Aber du warst die Einzige, die mir einen Ausweg hätte eröffnen können, Clara.
Würdest du dich heute zeigen?
Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete ich den Fernseher ein. Das funktionierte eine Zeit lang, weil ich mich von » This Morning« und einem Beitrag über Erektionsstörungen fesseln ließ. Als Fallstudie trat ein Mann in den Vierzigern auf, der eingestand, seit über einem Jahrzehnt darunter zu leiden. Ich hoffte sehr, dass er dafür ein gutes Honorar bekommen hatte. Es würde auf jeden Fall zu wenig gewesen sein. Dann war diese Peinlichkeit vorüber, und als Nächstes kam ein Ehepaar, dessen Sohn vor zwei Jahren verschwunden war. Die beiden saßen auf einem Sofa und sprachen mit Fern Britton, hielten Händchen und wischten sich mit Papiertaschentüchern die Tränen ab, während Fern mitfühlend den Kopf schief hielt.
Ich schaltete aus und irrte stattdessen ziellos durch die Wohnung, goss meine Pflanzen, zündete Duftkerzen an, kochte Kaffee, den ich nicht trinken würde.
Die Minuten verrannen träge, dehnten sich, als wollte die Zeit nie vergehen.
Mittags die Nachrichten. Richard Goldmans schleimiges Gesicht mit einer Story über Terrorismus, die mir hätte gehören sollen. Ich beobachtete ihn genau, wünschte mir, er würde Scheiße bauen.
Sein Beitrag war perfekt.
Das ist ein Vorzeichen.
Heute geht bestimmt alles schief.
Ich versuchte, diesen Gedanken wieder zu verdrängen. Zu spät. Er glitt mir durch die Kehle wie Quecksilber und lag mir schwer im Magen.
Vor meinem Fenster Geplapper von Müttern, die mit quengelnden Kindern in den Park unterwegs waren. Arthur, Schatz, lass das bitte! Tilly, Sweetie, benimm dich, sonst gibt’s nach den Tumbletots keine Süßigkeiten.
Das Leben geht weiter, aber nicht meines, ich stecke in einer Endlosschleife fest, werde in die Vergangenheit zurückgezerrt.
Stunden später die Klingel. Ein Schrillen, ein Atemholen, Panik wie ein Stich ins Herz. Du bist es.
Ich ging zur Tür. Langsam, keine Eile, lass dir Zeit. Atme tief durch. Dann öffnete ich die Tür und stand einem jungen Kerl in zerrissenen Jeans und einem Pullunder gegenüber, der Mikrofasertücher und Bügeleisenbezüge vor mir auf und ab schwenkte. Er zeigte einen Ausweis vor, ließ ein Lächeln aufblitzen und begann mit seiner rührseligen Geschichte.
Verpiss dich!
Ich schlurfte in die Wohnung zurück, in der jeder Laut sich verstärkte: Das Knacken der Zentralheizung waren deine Schritte, ein Luftzug von der Tür her war dein Atem, als du dich anschlichst. Cortisol kreiste durch meinen Körper. Ich fragte mich, wie lange ich noch würde durchhalten können.
Du kommst nicht.
Aber ich wusste, dass du kommen würdest.
Die Wahrheit, die hattest du
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