Zu cool für dich
Schulgebühren. Und ich rieche nach Rum.«
»Wo war sie denn diesmal?«
»Zürich, glaube ich.« Sie roch am Inhalt der Pfanne. »Mit einem Zwischenstopp in London. Oder Mailand?«
Ich trank noch einen Schluck von meinem Drink. Schweigen, schließlich: »Ich bin ein verbittertes, gemeines Biest, stimmt’s?«
»Stimmt«, antwortete sie ohne sich umzudrehen.
Ich nickte. Womit zumindest das geklärt wäre. Dachte ich. Mein Glas hatte auf der schwarzen Oberfläche der Arbeitsplatte einen feuchten Ring hinterlassen, den ich nun mit den Fingern nachzeichnete.
Chloe wandte sich um, lehnte sich an den Herd: »Und darauf kommst du jetzt, weil ...«
»... weil Chris plötzlich an die Liebe glaubt und ich nicht. Deswegen bin ich ein schrecklicher Mensch.«
Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Du bist nicht
nur
schrecklich. Du hast auch ein paar gute Seiten.«
Ich zog abwartend die Augenbrauen hoch.
»Zum Beispiel hast du ein paar richtig coole Klamotten.«
»Fick dich«, antwortete ich. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte; deshalb lachte ich auch. Was hatte ich denn erwartet? Umgekehrt hätte ich dasselbe gesagt.
Chloe ließ mich nicht mehr ans Steuer, sondern parkte mein Auto um die Ecke – ihre Mutter wäre stocksauer gewesen, wenn sie beim Heimkommen einen fremden Wagen vor dem Haus entdeckt hätte – und fuhr mich zum
Bendo
. Ich musste ihr schwören, dass ich nur noch ein einziges Bier trinken und anschließend Jess anrufen würde, damit sie mich nach Hause brachte. Ich versprach’s, ging hinein, trank zwei Bier und beschloss Jess nicht zu stören. Noch nicht. Stattdessen setzte ich mich an die Bar, von wo man einen guten Überblick hatte, und entschied mich ein bisschen vor mich hin zu sumpfen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich sie auf einmal entdeckte. Ich stritt mich gerade mit demBarkeeper über die großen Rockgitarristen der Sechziger und Siebziger herum, da fiel mein Blick plötzlich auf den Spiegel hinter dem Tresen. Und ich entdeckte sie. Ihr Haar hing schlaff herunter, ihr Gesicht sah verschwitzt aus. Sie wirkte betrunken, aber ich hätte sie trotzdem immer und überall wiedererkannt. Es waren nur die anderen, die sich gerne in dem Glauben wiegten, sie wäre für immer verschwunden.
Ich wischte mir übers Gesicht, fuhr mit den Fingern durch mein Haar, versuchte es wieder in Form zu bringen. Die ganze Zeit über starrte sie mich an. Wir wussten beide genau, dass diese kleinen Tricks nur Bühnenzauber waren, trügerisch wie ein Spiegelkabinett. Hinter mir wurde es immer voller. Ich spürte, wie die Leute sich um mich an die Bar drängten, um Getränke zu bestellen. Es war echt krank! Ich freute mich nämlich fast sie zu sehen. Die konkrete Verkörperung meiner dunkelsten Seite – in Fleisch und Blut. In der schummrigen Beleuchtung sah sie mich mit zusammengekniffenen Augen herausfordernd an.
Um ehrlich zu sein, früher war ich noch schlimmer. Viel schlimmer.
Inzwischen trank ich kaum noch, kiffte nicht mehr, verzog mich nicht mit Typen, die ich kaum kannte, in irgendwelche dunklen Ecken, dunkle Zimmer, dunkle Autos. Komisch – bei Tageslicht wäre das vermutlich nie so gelaufen. Wenn man sein Gegenüber sehen kann, die Oberfläche seines Gesichts mit ihren Linien, Erhebungen, Narben, deutlich abgesetzt wie bei einer Mondlandschaft. Doch im Dunkeln fühlten sich alle gleich an, Ränder und Ecken verschwammen. Wenn ich daran denke, wie ich vor zwei Jahren war, komme ich mir vorwie eine Wunde. Eine Wunde an einer denkbar ungünstigen Stelle, wo es gar nicht zu vermeiden ist, dass man sich immer wieder stößt, so dass die Wunde nie heilen kann.
Im Grunde waren weder das Trinken noch das Kiffen die wahren Probleme. Sondern diese andere Sache. Das, was schwieriger zuzugeben war. Nette Mädchen taten das nicht. Das, was ich tat. Nette Mädchen warteten. Doch ich hatte mich selbst nie als nettes Mädchen empfunden. Nicht einmal, bevor
es
passierte. Der Anfang von allem.
Es war in unserem zweiten Highschool-Jahr. Albert, ein Typ, der im Haus neben Lissa wohnte und schon in die Abschlussklasse ging, schmiss eine Party. Lissas Eltern waren verreist; wir übernachteten bei ihr und plünderten heimlich die Alkoholvorräte. Mixten alles, was wir fanden – Rum, Wodka, Pfefferminzlikör usw. –, und spülten es mit Cola light runter. Bis zum heutigen Tag ertrage ich keinen Amaretto mehr, nicht mal in diesen Feinkosttörtchen aus der Tüte, die
Weitere Kostenlose Bücher