Zu feindlichen Ufern - [3]
Rätsel bleiben.«
Bei diesen arglos gesprochenen Worten wuchs Elizabeths Schuldgefühl ins Unermessliche. Wäre sie nicht gewesen – wahrscheinlich war Wilder auch nicht ganz unbeteiligt daran –, hätte Henrietta nichts gesagt oder getan, was Frank Beacher hätte ermutigen können, ihr einen Antrag zu machen. Denn er hätte sich nie getraut, aus Angst, zurückgewiesen zu werden.
»Als hätte Henrietta nicht schon genug Kummer! Jetzt muss sie sich auch noch Gedanken um Frank und seine Gefühle machen.«
»Du denkst nicht, dass sie Franks Antrag jetzt annimmt, oder, Tante?«
»Es ist schon möglich, dass sie Ja sagt. Und versteh mich nicht falsch. Auch wenn Frank in den Herzensangelegenheiten ein wenig zu schüchtern ist, ich mag ihn wirklich sehr. Man kann nichts gegen ihn sagen. Manch eine Mutter hat ihn bereits für ihre Tochter in Betracht gezogen, da bin ich mir sicher. Mr Beacher und Henrietta passen schon zueinander, denke ich, und wären nicht unglücklich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ›nicht unglücklich sein‹ dasselbe ist wie ›glücklich sein‹. Und ich weiß nicht, ob er der Richtige für Henriettas Temperament ist.« Sie schenkte sich etwas Kaffee aus einer silbernen Kanne nach. »Aber was Frank Beacher betrifft, das wird Henri entscheiden müssen. Mr Carthew hätte gewiss nichts gegen eine solche Verbindung einzuwenden. Aber was machen wir jetzt mit Henri? Das ist meine größte Sorge.« Sie schaute auf. Nachdenklich wanderte ihr Blick zu ihrer Nichte. »Wäre es nicht vielleicht besser, du würdest sie mitnehmen, Lizzie? Zu Lady Hertle? Nicht sofort, natürlich, aber sobald sie sich ein wenig erholt hat von all diesen furchtbaren Schlägen, die sie verarbeiten muss.«
»Warum nicht? Ich sollte vielleicht nicht mit ihr nach London fahren, weil sie dort womöglich nur noch mehr Kummer leidet. In Plymouth wird es ihr leider auch nicht viel besser gehen, auch wenn sie sich sehr gut mit Tante Hertle versteht. Die beiden sind sich wahrlich von Herzen zugetan. Ausgerechnet in Plymouth verbrachte sie Zeit mit Kapitän Hayden, und die Erinnerungen könnten ihr weiteren Kummer bereiten. Vielleicht sollten wir einen Ort in Erwägung ziehen, an dem sie als Kind gern war – etwa der Lake District. Dort ist es im Mai sehr schön, und wir wären weit weg vom Meer, was gewiss vorteilhaft wäre.«
»Eine gute Idee, Lizzie. Ich denke, wir sollten sie dazu bringen, ein wenig Abstand zu gewinnen. Dann wird sie die Dinge bald wieder mit anderen Augen sehen, da bin ich mir sicher.«
Als Elizabeth kurze Zeit später den Speiseraum verließ und den Korridor entlangging, gewahrte sie eine Gestalt auf der Treppe.
»Mrs Hertle?«, fragte eine Stimme aus dem Halbdunkel.
»Mr Beacher? Konnten Sie keinen bequemeren Platz finden als die Treppenstufen?«
»Ich hatte gehofft, Sie zu treffen. Wenn Sie einen Moment erübrigen könnten …?« Frank Beacher wirkte sehr bedrückt, als hätte ihm das tragische Ende von Charles Hayden einen herben Schlag versetzt – auch wenn der Tod des Rivalen seinen Absichten entgegenkam. Offenbar raubten ihm nun seine Sorge um Henrietta und die ungewisse Antwort auf seinen Antrag den Schlaf.
»Ich komme Ihrer Bitte gern nach, Mr Beacher, unter der Bedingung, dass wir uns für einen Moment nach draußen begeben.«
»Das wäre mir sehr willkommen.«
Sie verließen das Haus über die steinerne Terrasse und gingen hinunter in den Garten, der in mehreren Abschnitten nach Süden hin abfiel. Dadurch hatte man vom Haus einen herrlichen Blick ins Land, ohne dass einem die Bäume, die zu ihrer vollen Größe heranwachsen konnten, die Sicht nahmen.
»Was für ein herrlicher Tag«, begann Frank Beacher, »bezogen auf das Wetter, meine ich.«
»Ja, in der Tat.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.
»Mrs Hertle, dürfte ich nach Miss Henriettas Wohlergehen fragen? Wie geht sie mit diesen furchtbaren Nachrichten um?«
Elizabeth war im Begriff, zu den gewöhnlichen Antworten zu greifen – »den Umständen entsprechend«, »besser, als wir zu hoffen wagten« –, doch dann machte sie sich bewusst, dass Franks Frage keine bloße Phrase gewesen war. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Henrietta. Sein Schlafmangel kam nicht von ungefähr.
»Sie ist furchtbar verzweifelt, wenn nicht gar aufgelöst, Mr Beacher, um Ihnen die Wahrheit zu sagen. Was ja angesichts der Vorfälle nicht ungewöhnlich ist. Noch nie habe ich meine Cousine so niedergeschlagen gesehen, nie hätte ich
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