Zu feindlichen Ufern - [3]
hat, das zu sagen.«
»Wie ich schon sagte, Ihre Nase ist die vollkommenste Erhebung in Südengland – womöglich noch darüber hinaus.«
Cassandra unterdrückte ein Kichern.
»Und Ihre Augen – ich bin sicher, dass sie weiter blicken können als die Ihrer Schwestern.«
»Mr Wilder, wenn Sie so weitermachen, schwirrt mir noch der Kopf.«
»Und Ihre Füße! Ihre perfekten, zarten, kleinen Füße. Wie rasch sie Sie von einem Ort zum anderen tragen, wie sicher sie Ihre Schritte zu lenken verstehen. Ich wage zu behaupten, dass Ihre Füße Sie noch nie an einen Ort gebracht haben, zu dem Sie nicht wollten. Wie viele Menschen können das von sich sagen? Ich denke, nicht mal eine einzige Seele auf dieser heiligen Insel.«
»Sie wollen damit sagen, dass meine Füße recht verlässlich sind?«
»Verlässlich? Treu, vertrauenswürdig, loyal – unsere Sprache kann diesen Vorzügen nicht im Ansatz gerecht werden.«
»Loyal? Welche Frau würde nicht fast in Ohnmacht fallen, wenn sie diesen Beschreibungen ihrer Füße lauscht? Wenn ich jetzt gleich aus dem Sattel falle, so hoffe ich doch, dass Sie mich auffangen?«
»Mein Teure, ich bin mir sicher, dass Ihre Füße Ihnen Halt geben, ehe ein Sterblicher wie ich in der Lage wäre, Ihnen beizustehen. Und dabei habe ich noch gar nicht Ihre Handknöchel erwähnt.«
»Nein, nein, Mr Wilder, ich muss protestieren. Noch ein Wort und ich fürchte, dass ich nicht mehr länger Herr meiner Gefühle bin. Wenn Sie wirklich ein Gentleman sind, so muss ich Sie ersuchen, davon abzulassen.«
»Auch wenn es mir schwerfällt, Ihre Vorzüge nicht mehr zu preisen, Miss Cassandra, aber wenn Sie darauf bestehen, so werde ich davon lassen – fürs Erste. Aber es könnte sein, dass ich in naher Zukunft noch einmal daran anknüpfen muss. Wie sollte es auch anders sein?«
»Ja, ich denke, das ist ziemlich überwältigend für Sterbliche, wie Sie es sind.«
»Oh, ich glaube nicht, dass Sie das auch nur ansatzweise ermessen können.« Eine Bewegung weiter unten erregte in diesem Moment Wilders Aufmerksamkeit, sodass er den Blick von seiner Begleiterin wendete. »Sind das nicht Miss Henrietta und Mr Beacher dort unten im Garten?«
Cassandra reckte sich ein wenig im Sattel. »Ist das nicht eher meine Cousine Elizabeth? Henrietta hat keinen Rock dieser Farbe. Doch, dass muss Lizzie sein. Sehen Sie, wie sie geht? Sie schwebt nicht wie Henrietta. Ich wüsste zu gern, worüber die beiden gerade reden.«
»Gewiss über eine bestimmte Person …«
»Über Henrietta?«
»Davon gehe ich aus.«
»Was denken Sie, wird sie ihn heiraten? Frank, meine ich?«
»Sie sind ihre Schwester. Das wissen Sie bestimmt besser.«
»Ich glaube, sie heiratet ihn. Ich hoffe es zumindest. Frank wird sie glücklich machen. Viel glücklicher, als sie je mit dem Marineoffizier hätte werden können – mochte er auch noch so hinreißend aussehen.«
»Ich habe den Kapitän ja nie kennengelernt, aber Frank ist schon seit Jahren mein Freund, und ich kenne keinen, von dem ich eine höhere Meinung hätte.«
»Nicht einmal von Ihnen, Mr Wilder?« Sie ließ ihr durchtriebenes Lächeln aufblitzen.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Cassandra und war mit einem Mal sehr ernst. »Von mir ganz besonders.«
K APITEL DREIZEHN
Henrietta spürte die Frühlingssonne auf ihrer Haut, spürte, wie die Sonne sie allmählich mit Wärme und neuer Kraft erfüllte und gleichzeitig die Kälte und die klammen Stunden des Winters vertrieb. Sie saß auf der Bank, hatte das Gesicht zur Sonne gehoben und dachte, dass sie nach und nach von all dem Unglück der zurückliegenden Wochen geheilt würde, wenn die Wärme der Sonne die tieferen Schichten ihres Körpers erreichte. Die Heilung würde langsam vonstatten gehen, aber allein schon das Gefühl, dass es ihr bald besser gehen würde, bescherte ihr mehr Erleichterung, als sie in Worte zu fassen vermochte.
Der Frühling hatte vollends Einzug gehalten. Die Bäume strahlten im jungen Blattwerk, das Gras war so grün, es schien von innen zu leuchten. Die Blumen drängten durch die Erdschicht und wuchsen jeden Tag einen Zoll, bis sie ihre schönen Blüten für die surrenden Bienen öffneten. Der Duft, der von den Trauerweiden herüberwehte, war wie ein Wohlgeruch aus dem fernen China, denn von dort war dieser Baum einst als Sprössling eingeführt worden. Das erdige Aroma des Frühlings entströmte dem Boden ringsherum, beladen von den Düften des Verfalls und der Erneuerung.
Wenn die
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