Zu gefährlicher Stunde
Dominguez Aufsehen erregen würde; Gelb für
jene, in denen er nicht weiter auffiele; Grün für die, in die er sich nahtlos
einfügte. Wir besprachen, welche Orte in seiner »natürlichen Umgebung« er wohl
aufsuchen würde, und beschlossen, dort zuerst zu suchen.
Nachdem Patrick gegangen war, weil
seine Schicht als Wachmann begann, schlug ich Julia vor, gemeinsam zu Abend zu
essen. Sie war bereit, schon einmal zum Miranda’s zu gehen und einen Tisch zu
reservieren, während ich Gary anrief. Ich hatte gerade den Hörer abgenommen,
als er sich auf der anderen Leitung meldete.
»Tut mir leid, dass es so lange
gedauert hat. Hatten heute Nachmittag eine große Drogenrazzia, da war es
schwer, an die Informationen zu kommen. Aber ich hab sie zusammen: Gegen Alex
Aguilar liegt nichts vor. Das ist doch dieser viel versprechende Typ aus dem
Stadtrat, über den alle Zeitungen schreiben, oder?«
»Genau.«
»Falls es eine Verbindung zwischen ihm
und Duarte gibt, muss sie sehr tief vergraben sein. John Duarte hingegen hat
jahrelang für Renny gearbeitet, aber die Rauschgiftleute konnten ihm nie etwas
nachweisen. Als du uns geholfen hast, Dominguez zu schnappen, verschwand Duarte
spurlos. Niemand hat nach ihm gesucht; er stand ganz unten in der Hierarchie.«
»Erstaunlich, dass er es geschafft hat,
hier oben so weit zu kommen.«
»Gute Verbindungen oder genügend Geld,
nehme ich an. Solche Typen kommen immer wieder auf die Beine.«
»Bis sie tot in einer Schlucht landen.«
»Stimmt. Zu Scott Wagner habe ich auch
nichts gefunden, aber dieser Dan Jeffers — Mann, was für ein Loser. Ein kleiner
Dealer, der ständig erwischt wurde, sechs Monate hier, sechs Monate da. Hat die
Stadt fünfundneunzig verlassen.«
»Könnte er Dominguez gekannt haben?
Oder Duarte?«
»Gut möglich. Typen wie Jeffers sind
kleine Lichter, typische Laufburschen. Duarte oder Renny könnten ihn benutzt
haben.«
Gary und ich plauderten noch ein wenig,
und ich versprach, ihn bei meinem nächsten Besuch in San Diego anzurufen,
bezweifelte aber, dass es dazu kommen würde. Die Gedanken an Joey, die er in
mir geweckt hatte, waren zwar erfreulich gewesen, aber es gab daneben zu viele
schmerzvolle Erinnerungen. Ich wollte sie verdrängen, und Gary ging es wohl
ähnlich.
Der Nebel war jetzt ganz dicht, die
Dunkelheit war hereingebrochen. Julia wartete gewiss auf mich, hungrig, aber zu
höflich, um schon etwas zu bestellen. Ich ordnete die Papiere auf meinem
Schreibtisch, zog mir einen wärmeren Pullover an und trat nach draußen. Bei
Mick und Derek brannte noch Licht, genau wie in Charlottes Büro. Als ich an
Teds Tür vorbeikam, sah ich ihn am PC sitzen.
Wenn das hier alles vorbei war, würde
ich eine Riesenparty für meine Leute schmeißen.
Ein kühler Wind traf mich auf dem
Gehweg. Sommer in San Francisco. Ich bedauerte die Touristen aus wärmeren
Gegenden, die in tropischer Kleidung hier eintrafen, weil sie meinten, das
Klima sei genauso wie in Südkalifornien.
Film und Fernsehen haben ein völlig
falsches Bild unseres Staates gezeichnet: Staus wie in L.A., Hochhaustürme, die
Paläste der Reichen, endlose Vorstadtwüsten. Sandstrände voller Surfer und
Bikinischönheiten; Weinberge, in denen niemand wirklich hart zu arbeiten
braucht. Wo blieben die wilde Nordküste; die fast unzugänglichen Berge; die
Wüsten hoch im Gebirge und unterhalb des Meeresspiegels; die weiten Täler mit
ihren Farmen, auf denen Menschen — oft für kargen Lohn — tatsächlich hart
arbeiteten; die Kleinstädte, die allen Kleinstädten im Herzen Amerikas
ähnelten?
Und dann gab es natürlich noch das
Klischee, dass hier lauter Spinner leben: Klar, wir sind alle ein bisschen
ulkig, wenn nicht völlig durchgeknallt. Genusssüchtig, unmoralisch und
vermutlich auch gemeingefährlich. Sobald man einen Fuß in unseren Staat setzt,
wird man genauso bekloppt wie wir.
Na ja, vielleicht ist dieses Image gar
nicht so übel. Hält das Gesocks fern. Oder auch nicht.
Auf dem Embarcadero zog ich mir die
Kapuze über den Kopf und vergrub die Hände in den Taschen. Draußen in der Bucht
tutete ein Schlepper — ein einsamer, gedämpfter Laut. Ich hatte den ganzen Tag
nichts von Hy gehört und fragte mich, ob er in La Jolla übernachten würde. Es
wäre eine nette Überraschung, ihn später zu Hause im Bett vorzufinden —
Ein Geräusch schreckte mich auf, und
ich blieb an dem Maschendrahtzaun stehen, der das Abrissgelände zwischen Pier
28 und 36 umgab. Schwach, aber
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