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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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erste Aufgabe ihn nicht in den Keller führte und ihn auch nicht in direkten Kontakt mit toten Menschen brachte.
     
    Morell polierte gerade einen reichverzierten Eichensarg, als Eschener erneut den Raum betrat.
    »Herr Reiter?«
    Der Chefinspektor reagierte nicht und putzte munter weiter.
    »Herr Reiter?!«
    Es dauerte einige Augenblicke, bis Morell realisierte, dass er damit gemeint war. Verflixt, fluchte er innerlich. Er musste aufpassen, dass ihm das nicht öfter passierte. »Entschuldigung, ich war so damit beschäftigt, den Staub aus den Schnitzereien zu wischen, dass ich …«
    »Schon in Ordnung, Herr Reiter. Ich habe soeben einen Anruf aus dem Seniorenheim bekommen. Wir sollen einen verstorbenen Insassen abholen. Ich habe allerdings gleich ein Kundengespräch, deshalb müssen Sie unseren Herrn Jedler begleiten. Sie wissen ja, was zu tun ist.«
    Noch bevor Morell antworten konnte, tauchte hinter Eschener ein kleiner, pausbäckiger Mann mit wild abstehenden roten Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen auf. Er sah aus wie einer jener irischen Kobolde, die am Ende des Regenbogens Töpfe voller Gold hüteten.
    »Darf ich vorstellen«, sagte Eschener. »Das ist Thomas Reiter, er ist vormittags zur Aushilfe hier, und das hier ist Sebastian Jedler, unser Thanatopraktiker.«
    »Freut mich«, sagte Jedler und streckte Morell seine sommersprossige Hand entgegen. »Dann wollen wir mal.«
    Der Chefinspektor folgte Jedler hinaus auf den Parkplatz, wo der Leichenwagen stand. Mit einem mulmigen Gefühl nahm er auf dem Beifahrersitz Platz.
    Jedler drehte den Zündschlüssel um und legte einen Kavalierstart hin. »Sie können übrigens ruhig Basti zu mir sagen. Ich bin mit der anderen Kollegin auch per Du, nur der Eschener ist so steif und besteht aufs Siezen.«
    »Ist gut, Basti. Ich heiße … äh … Thomas.«
    Morell war unwohl. Schon bald würde nur wenige Zentimeter hinter ihm eine Leiche liegen. Zumindest verspürte er deshalb noch immer keinen Appetit. Er kurbelte das Fenster ein Stück herunter, ließ etwas frische Luft hereinwehen und begann mit Jedler über das Bestattungswesen zu plaudern.
    »Sag mal, sagt dir der Name Benedikt Horsky etwas?«, fragte er irgendwann so beiläufig wie möglich.
    Jedler grübelte. »Nein. Wer soll das sein?«
    »Ach, nicht so wichtig«, winkte Morell ab. »Ein Bekannter von mir, auch ein Bestattungsunternehmer. Hätte ja sein können, dass du ihn kennst. Ich habe ihn schon lang nicht mehr gesehen, und jetzt, wo ich auch wieder im Bestattungswesen tätig bin, musste ich mehrfach an ihn denken und habe mich gefragt, was wohl aus ihm geworden ist.«
    Jedler zuckte mit den Schultern. »Nö, einen Horsky kenn ich nicht.« Er raste um eine Kurve und zündete sich dann eine Zigarette an.
    Kurz darauf erreichten sie das Altersheim, das direkt an einer stark befahrenen Straße lag. Die Fassade war von den Abgasen der Autos grau und schmutzig gefärbt. Überhaupt machte das ganze Gebäude auf Morell keinen guten Eindruck. Der große, schmucklose Klotz hatte Fenster, die schon seit Monaten kein Putzzeug mehr gesehen hatten, und obwohl es helllichter Tag war, waren einige der fleckigen grauweißen Jalousien noch nicht hochgezogen. Über dem Eingang, einer breiten Schiebetür, prangte in schmuddeligen roten Lettern der Schriftzug ›Seniorenresidenz Sonnblick‹. Morell schüttelte den Kopf – das war ja wohl der Euphemismus des Jahres. Wenn er mit seinem ersten Eindruck richtig lag, dann wäre der Begriff ›Altenbunker Trübseligkeit‹ wohl treffender. Sogar das Gefängnis, in dem Lorentz derzeit unschuldigerweise vor sich hinschmorte, versprühte mehr Charme als diese abgetakelte Einrichtung.
    Jedler legte eine Vollbremsung hin und klatschte in die Hände. »Auf geht’s«, rief er, drückte seine Zigarette aus und sprang aus dem Wagen.
    Morell, dessen Elan sich angesichts der bevorstehenden Aufgabe schwer in Grenzen hielt, wuchtete sich aus dem Sitz. Es nutzte nichts, er musste hier jetzt einfach mitmachen. Er half Jedler, eine Trage und einen Leichensack aus dem hinteren Teil des Autos zu nehmen, und folgte dem kleinen Kerl. Wie die beiden so hintereinander hergingen, wirkten sie wie frisch aus einem Märchenbuch: Ein fröhlicher Kobold, gefolgt von einem sanften Riesen.
     
    Zurück in der Pietät, brachten sie als Erstes den Leichnam in den Aufbahrungsraum im Keller und gingen dann hoch in den Empfangsbereich, wo eindeutig Hektik in der Luft hing. Eschener rannte wie ein

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