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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Morell noch einmal nach.
    Helene Novak schüttelte den Kopf. »Dazu hat der Feigling nicht den Mumm. Er würde nie etwas tun, was gegen eines der Zehn Gebote verstößt.«
    »Und sonst fällt Ihnen niemand ein, der als Täter in Frage käme?«
    »Beim besten Willen nicht. Vitus gingen die Streitereien mit Dr. Lorentz und Pfarrer Stimpfl ein bisschen auf die Nerven, aber ansonsten gab es keinen Unfrieden.«
    »Wollen wir uns doch über die Wahl der passenden Urne unterhalten«, versuchte Eschener das Gespräch wieder zurück auf die Bestattung zu bringen. »Wenn Sie bitte einen kurzen Blick auf das Regal da drüben werfen würden. Dort stehen unsere schönsten Modelle.«
    Frau Novak nickte, stand auf und ging zu dem besagten Regal.
    »Was sollte denn das?«, zischte Eschener. »Wir sind hier in einem Bestattungsunternehmen und nicht bei der Boulevardpresse. Befriedigen Sie Ihre Sensationsgier gefälligst woanders, sonst war das Ihr letzter Tag in der Pietät!«
    »Verstanden. Entschuldigung. Wird nie wieder vorkommen.«
    »Das will ich auch hoffen!« Eschener rückte seine Krawatte zurecht und eilte zu der Witwe. »Diese da ist eine sehr gute Wahl. Das ist unser Modell SELENE . Sehr edel und klassisch. Oder was halten Sie von dieser hier?« Er zeigte auf eine weiße Urne, die mit goldenen Efeublättern verziert war. »Das ist unser Modell MANDALA .«
    »Was kostet diese dort?« Die Witwe deutete auf eine Urne, die ganz oben auf dem Regal stand. Dabei handelte es sich um ein kitschiges Ungetüm aus weißem Marmor, das die Form eines kleinen Hauses hatte und mit einem Relief aus goldenen Reitern verziert war. Morell war sich sicher, noch nie in seinem Leben so etwas Hässliches gesehen zu haben.
    »Das ist das Modell GESEGNET , ein Einzelstück, das leider schon vergeben ist. Aber was halten Sie von dieser hier. Das ist unser Modell CAELIS  …«
     
    Frau Novak wählte das Modell MANDALA und suchte anschließend Blumengestecke im Wert von über tausend Euro aus. Sie hatte sich von Eschener sogar Silberluster, Friedhofssänger und einen Baldachin für teuer Geld aufschwatzen lassen. Als sie die Pietät verließ, war Eschener so glücklich und so voller Vorfreude auf die Beerdigung, dass er Morells Indiskretion schon wieder völlig vergeben und vergessen hatte.
    »Sie können nun gerne Feierabend machen, Herr Reiter«, sagte er und lächelte verklärt. »Wir sehen uns dann morgen um acht.«
     
    Morell nahm aus Fitnessgründen nicht die Straßenbahn, sondern machte sich zu Fuß auf den Heimweg. Er ging zügig die Nussdorfer Straße entlang in Richtung Gürtel und kaufte sich bei einem türkischen Lebensmittelladen einen Apfel. Eigentlich hätte er ja viel lieber eine Topfengolatsche oder einen Punschkrapfen gehabt, aber nun denn.
    »An apple a day keeps the doctor away«, sagte er und biss hinein. Er kam nicht dazu, sich den Apfel noch mehr schönzureden, da in diesem Moment sein Handy klingelte.
    »Hier spricht Moritz Langthaler. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Anna Wondraschek sehr wahrscheinlich das Geheimnis des fehlenden Fotos gelüftet hat.«
    »Das ging ja flott. Wann können wir uns treffen?«
    »Von mir aus können Sie gleich vorbeikommen. Dr. Lorentz soll nicht länger als nötig im Gefängnis schmoren.«
    »Prima, ich bin ganz in der Nähe und kann in zehn Minuten bei Ihnen sein.« Arbeit war eine weitere gute Waffe im Kampf gegen den Appetit.

»Es kommt nicht auf den Ort an, die Nachwelt wird mich schon finden.«
    Arthur Schopenhauer, auf die Frage, wo er begraben sein möchte.
    Chefinspektor Roman Weber hatte seine Bürotür einen Spaltbreit geöffnet, damit die Atmosphäre von hektischer Betriebsamkeit, die im LKA vorherrschte, zu ihm hereinströmen konnte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss für einen Moment die Augen und genoss die Geräuschkulisse: das Läuten von Telefonen, das Schlagen von Türen, die eiligen Schritte im Flur und das Stimmengewirr in allen möglichen Tonlagen. Er befand sich im Herzen eines Bienenstocks. SEINES Bienenstocks. Er war der Held der Stunde, der siegreiche Retter, die aufstrebende Star-Biene.
    Er steckte sich einen Zahnstocher in den Mund, kaute grinsend darauf herum und war äußerst zufrieden mit sich und der Welt. Der spektakuläre und blutrünstige Mord an Vitus Novak war das Beste, was ihm seit langem passiert war. Der Fall beherrschte die Titelblätter sämtlicher Printmedien, und es gab kaum einen TV - oder Radiosender, der nicht darüber berichtet

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