Zu Grabe
hatte. Dass es ihm gelungen war, den Täter in weniger als 24 Stunden zu verhaften, ließ die negativen Schlagzeilen, für die die österreichische Exekutive in den letzten Jahren gesorgt hatte, endlich in Vergessenheit geraten.
Weber und sein Team wurden von allen Seiten in den höchsten Tönen für ihre effiziente Arbeit gelobt und erhielten endlich die Anerkennung, die ihnen zustand. Sogar der Polizeichef höchstpersönlich war vorhin hier gewesen, um ihm zu gratulieren. »Männer wie Sie sind das Rückgrat unserer Gesellschaft«, hatte er gesagt und dabei wohlwollend genickt. Weber konnte seine Beförderung schon förmlich riechen.
Und damit nicht genug. Gleich würde er ein Exklusivinterview mit einer der größten Tageszeitungen Österreichs führen. »Der Held von Wien – der Mann, der den Uni-Schlächter fasste«, sollte der Artikel heißen.
Weber nahm eine Tube Gel aus einer Schreibtischschublade, verrieb eine haselnussgroße Portion davon zwischen den Handflächen und fuhr sich durch die Haare – wahrscheinlich würden sie ein Foto von ihm machen, und er wollte gut aussehen, wenn er als Held von Wien vom Titelbild lachte. Oder nein, er würde nicht lächeln. Er würde ernst und erhaben dreinschauen. Oder vielleicht doch lieber smart und weltgewandt?
Er kam nicht dazu, sich noch mehr Gedanken bezüglich seiner Mimik zu machen, da das Telefon läutete.
»Herr Weber, hier spricht Helene Novak. Ich rufe an, um Ihnen mitzuteilen, wie sehr ich mich über Ihr unprofessionelles Verhalten ärgere.«
Weber wischte seine Hände an einem Taschentuch ab und überlegte kurz, was er wohl angestellt hatte. »Tut mir leid, Frau Novak, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst.«
»Also wirklich! Ich bitte Sie! Lügen Sie mich doch nicht an!«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Sie müssen mir auf die Sprünge helfen.«
»Das darf ja wohl nicht wahr sein.« Frau Novak holte tief Luft. »Erst bauen Sie Mist, und dann tun Sie einfach so, als wüssten Sie von nichts. Stehen Sie wenigstens zu Ihrer Unzulänglichkeit!«
»Wie ich bereits sagte: Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Weber stand auf, strich seine Hose glatt und richtete den Kragen seines Hemdes.
Er hatte keine Ahnung, worüber sich die alte Novak so furchtbar aufregte, und um ehrlich zu sein, war es ihm auch egal. Heute war sein großer Tag, und den würde er sich nicht von einem aufgebrachten Weib verderben lassen. Es war das Los eines jeden Polizisten, sich hie und da von emotionalen Angehörigen, ertappten Verbrechern oder auch einfach nur von frustrierten Bürgern beschimpfen lassen zu müssen. Er hatte daher im Laufe seiner Dienstzeit gelernt, das Hirn auf Durchzug zu schalten und unangebrachte Beschuldigungen einfach zu ignorieren. Er fuhr sich noch einmal mit den Fingern durch die gegelten Haare und richtete seine Krawatte.
»Sie haben keine Ahnung?! Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen! So eine Unverschämtheit!«
»Könnten Sie mir bitte einfach sagen, was los ist?« Weber wurde langsam ungeduldig. Die Leute von der Presse würden sicherlich gleich hier sein, und er wollte vorher noch schnell auf die Toilette gehen, um dort einen Blick in den Spiegel zu werfen.
»Ich spreche davon, dass Sie es nicht für nötig halten, mir mitzuteilen, dass es Zweifel an Lorentz’ Schuld gibt.«
Weber hörte auf, an seiner Krawatte herumzufummeln. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Der Herr Reiter aus der Pietät hat es mir gesagt.«
»Nonsens. Da hat dieser Herr Reiter Ihnen aber einen sauberen Blödsinn erzählt.«
»Das glaube ich nicht«, insistierte Frau Novak. »Herr Reiter ist ein ausgesprochen ernsthafter und seriöser Mann.«
»Das ist er auf keinen Fall, wenn er Ihnen so einen Unsinn einredet. Der Mörder Ihres Mannes sitzt nämlich im Gefängnis, und jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein Lügner. Punkt.« Weber schaute auf seine Uhr. Er musste Frau Novak so schnell wie möglich abwürgen. »Fragen Sie diesen Herrn Reiter doch einmal, wo er diesen Blödsinn herhat, und rufen Sie später wieder an.«
»Da muss ich nicht extra nachfragen, ich weiß, woher der Herr Reiter diese Information hat – er hat es in der Zeitung gelesen.«
»In der Zeitung?« Endlich gehörte Frau Novak Webers ungeteilte Aufmerksamkeit. »In welcher?«
»Er hat es aus dieser Gratiszeitung, die in der U-Bahn verteilt wird.«
Weber setzte sich. »Bleiben Sie mal kurz dran«, sagte er, legte den Hörer neben das Telefon, griff unter
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