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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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rüttelte erneut an der Tür, aber wie schon die vielen Male davor bewegte sie sich keinen Millimeter. Er rüttelte noch einmal, diesmal so fest, dass er plötzlich die Türklinke in der Hand hielt. » VERFLUCHT !!!«, schrie er laut und knallte die Klinke auf den Boden. Als ihm einfiel, wo er sich befand und wer hinter ihm lag, murmelte er ein leises »’tschuldigung« und machte sich daran, die Stelle zu begutachten, an der er die Klinke aus der Tür gerissen hatte. Vielleicht schaffte er es ja, mit Hilfe der Pinzette und des kleinen Messers, das er dabeihatte, den Schließmechanismus der Tür zu überlisten.
    Er stocherte mit klammen Fingern in dem Loch herum, hatte aber keinen Erfolg. Gerade als ihm so kalt war, dass er ernsthaft überlegte, einem der Toten sein Leichentuch wegzunehmen, kam ihm eine andere Idee: Rein theoretisch musste es irgendeine Vorrichtung geben, die Alarm schlug, wenn die Kühlung nicht mehr funktionierte. Wenn er es also schaffte, das Kühlaggregat außer Gefecht zu setzen, schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Er würde die Temperatur erhöhen, und er würde hoffentlich durch das Auslösen des Alarms auf sich aufmerksam machen. Er würde dann zwar für unbestimmte Zeit mit auftauenden Leichen in einem Raum sein müssen, doch alles war besser als selbst eine von ihnen zu werden.
    Er drehte sich zu seinen Zimmergenossen um. Wo war das Kühlaggregat? Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und versuchte, sich von dem Anblick der toten Körper, die sich unter den Leichentüchern abzeichneten, nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
    »Ah, da bist du ja.« Er hatte direkt über einer Bahre einen grauen Kasten entdeckt, aus dem ein monotones Surren drang. Vorsichtig schob er die Bahre samt der darauf liegenden Leiche zur Seite, stellte sich auf die Zehenspitzen und ruckelte daran. Nachdem sich nichts tat, zog er mit klammen Fingern sein Werkzeug heraus und begann, mit dem kleinen Messer die Schrauben der Abdeckung zu lockern.
    »Geht doch«, sagte Morell nicht ohne Stolz, als er es einige Minuten später tatsächlich geschafft hatte, die Abdeckung zu entfernen. Er legte das schwere Metallteil auf den Boden und betrachtete die Kabel, Schrauben und blinkenden Lichter, die sich dahinter verborgen hatten. Wie konnte er dieses Ding ausschalten? »Egal«, sagte er, atmete in seine Hände und fing an, mit dem kleinen Messer so lange ein Kabel nach dem anderen durchzuschneiden, bis das Surren der Kühlung plötzlich aufhörte. Zufrieden steckte er sein Messer weg, ging zur Tür, starrte hinaus und wartete.
    Tatsächlich ließ die Rettung nicht lange auf sich warten. Es war Frau Summers pausbäckiges Gesicht, das nur kurze Zeit später in dem kleinen Sichtfenster erschien. Sie öffnete die Tür und schaute Morell, dem gerade ein tonnenschwerer Stein vom Herzen fiel, entgeistert an.
    »Herr Reiter, was ist denn hier los? Über der Tür blinkt ein Licht, das besagt, dass die Kühlung ausgefallen ist.« Sie starrte auf die durchtrennten Kabel. »Haben Sie etwa …?«
    Morell antwortete nicht gleich, sondern trat als Erstes auf den sicheren Flur. »Ich weiß nicht, was genau passiert ist«, sagte er zitternd und rieb sich die Hände. »Herr Eschener hatte mich gebeten, einen Toten aus dem Leichenwagen zu holen und in die Kühlkammer zu bringen. Als ich drinnen war, ist die Tür zugefallen und nicht mehr aufgegangen. Und um nicht zu erfrieren, habe ich die Kühlung … ähm …«, er suchte nach den richtigen Worten, »… abgedreht.«
    Frau Summer tätschelte Morells Oberarm und stemmte dann die Hände in die Hüften. »Ich habe dem Sebastian schon hundertmal gesagt, dass er die Tür reparieren soll«, schimpfte sie. »Mir ist das auch schon einmal passiert. Irgendetwas mit der Klinke ist kaputt. Kommen Sie! Ich mache Ihnen erst einmal einen Tee, und in meinem Büro habe ich auch noch eine große Dose mit Keksen stehen.«
     
    Der heiße Tee und die Kekse taten Morell gut. Er fühlte, wie sich wohlige Wärme in seinem Körper ausbreitete und sich seine Nerven langsam beruhigten.
    »Ich rufe gleich einen Techniker an«, sagte Frau Summer. »Der muss sich noch heute um die kaputte Kühlung und die defekte Klinke kümmern – nicht auszudenken, was alles hätte geschehen können. Ich schreibe zur Sicherheit auch noch schnell eine Warnung, die ich an die Tür klebe, damit so was nicht noch mal passiert.« Sie verfasste eine Notiz und huschte dann mit dem Zettel und einer Rolle Tesafilm in den

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