Zu Grabe
hatte, saß in ihrem kleinen Büro in der Sensengasse und studierte einen Obduktionsbericht, als es an der Tür klopfte.
»Ja, bitte!«
»Hallo, Frau Capelli.« Es war Jochen Kern, der seinen Kopf zur Tür hereinsteckte. »Ich habe gerade die Sekretärin auf dem Gang getroffen, und sie hat mir gesagt, dass wir einen Fall haben.« Er wedelte mit einem kleinen Zettel.
Capelli legte den Obduktionsbericht zu Seite. »Wissen wir schon, womit wir es zu tun haben?«, fragte sie.
»Es sieht schwer nach Mord aus. Ein älterer Herr wurde mit durchschnittener Kehle in seiner Wohnung aufgefunden. Nähere Details sind leider noch nicht bekannt. Aber wir werden es gleich herausfinden. Der Tatort liegt in der Berggasse, das ist nicht weit von hier entfernt. Mit dem Auto sind wir in fünf Minuten dort.«
»Dann mal los.« Capelli griff nach ihrer Jacke und stand auf.
Die Autofahrt dauerte, genauso wie Kern es angekündigt hatte, nur ein paar Minuten. Während der Fahrt schwiegen sie. Seit dem letzten Mal hatte der Obduktionsassistent keinen weiteren Annäherungsversuch mehr gestartet. Offenbar hatte er Capellis Wink verstanden.
»Da vorne muss es sein.« Capelli deutete auf die blinkenden blauen Lichter der anwesenden Streifen- und Krankenwagen, die keinen Zweifel daran ließen, dass sie geradewegs auf einen Tatort zufuhren.
Sie parkten direkt vor dem Haus, stiegen aus und wurden von den anwesenden Schaulustigen mit einer Mischung aus Neugier, Ehrfurcht und Abscheu angestarrt, als sie sich als Vertreter der Gerichtsmedizin auswiesen und von einem jungen Polizisten in das Gebäude geführt wurden.
»Können Sie uns schon irgendwelche Details sagen?«, fragte Capelli im Treppenhaus.
»Bei dem Opfer handelt es sich um den 56-jährigen Johannes Meinrad. Seine Nachbarin hat die Polizei alarmiert, weil er einen Termin mit ihr nicht eingehalten und auf ihr Rufen und Klopfen nicht reagiert hat. Er war wohl sonst sehr zuverlässig, da ist sie stutzig geworden. Wir haben die Türe eingetreten und ihn mit durchschnittener Kehle in seinem Flur liegend gefunden. Mehr weiß ich leider auch nicht. Jetzt kommen Sie ins Spiel.«
Capelli sah sich um. Hier drinnen herrschte bereits ein ziemlicher Trubel. Ein Team von Streifenpolizisten war gerade dabei, die Hausbewohner zu befragen, während ein Team der Spurensicherung im Treppenhaus nach Indizien suchte.
»Sie müssen rauf in den ersten Stock«, sagte der junge Beamte. »Es ist die zweite Tür links. Sie können sie nicht verfehlen.«
Tatsächlich war der Tatort nicht zu übersehen – und auch nicht zu überhören. Die Wohnungstür, die tatsächlich gewaltsam geöffnet worden war – überall am Boden lagen Holzsplitter herum –, stand sperrangelweit offen, und davor stand ein älterer Polizist, der eine hübsche, blonde Frau im Arm hielt, die herzzerreißend schluchzte. Das musste die besagte Nachbarin sein.
Capelli und Kern zogen sich ihre Schutzanzüge über und betraten die Wohnung.
Der Tote, der in einer riesigen, mittlerweile braun verfärbten Blutlache lag, war nur ein paar Schritte von der Tür entfernt. Aber Capellis Blick fiel auch noch auf etwas anderes, das sie in diesem Moment noch mehr interessierte als die Leiche: An den Wänden hingen Bilder von antiken Reliefs, und am Ende des Flurs stand eine griechische Statue. »Was hat Herr Meinrad denn beruflich gemacht?«, fragte sie Kern.
Der zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, sagte er. »Warum wollen Sie das wissen?« Er schaute auf den Toten. »Ist das irgendwie wichtig?«
Capelli zog die Stirn in Falten. »Ich weiß es nicht. Möglich wäre es.« Sie ging zur Tür. »’tschuldigung«, wandte sie sich an den Polizisten, der vor der Wohnungstür stand. »Wissen Sie zufällig, was der Tote von Beruf war?«
»Ähm …«, setzte der Beamte an. »Nicht genau, ich glaube …«
»Er war Spezialist für antike Kunst«, schluchzte die blonde Frau und schnäuzte sich. »Er hat verschiedenste Auktionshäuser und auch Privatleute beraten.«
»Hmmm …« Capelli überlegte. Johannes Meinrad. War das nicht einer der Namen gewesen, die auf Morells Liste standen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. »Wissen Sie zufällig, ob Herr Meinrad früher einmal auf archäologischen Grabungen im Ausland tätig war?«
Die blonde Frau wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke Tränen aus dem Gesicht. »Möglich wäre es, aber sicher bin ich nicht«, sagte sie.
Capelli bedankte sich, zückte ihr Handy, rief bei Morell an,
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