Zu Hause in Almanya
Niemals! Sich halb nackt zu zeigen ist doch Sünde, dachte sie. Tanzen? Ging sie einmal im Jahr, wenn irgendwo türkische Hochzeit war, und selbst dann saß sie die meiste Zeit nur am Tisch und schaute zu. Diskos oder Lokale waren für sie tabu. Kino? Warum? Filme laufen doch auch im Fernsehen. Malen, basteln, spielen vielleicht? Das alles war für sie Kinderkram, aber nichts für Erwachsene. Sie las auch nicht, außer hin und wieder mal eine Zeitung und Kochrezepte. Was in der Welt passierte, interessierte sie nicht, weil sie es nicht verstand; was in der Umgebung passierte, auch nicht.
Was blieb ihr also anderes, als sich um Haus und Hof und Familie zu kümmern? Sie lebte gemütlich in ihrem Viertel wie in einem kleinen Dorf, oder vielleicht so wie deutsche Touristen in Antalya, die wie eingeschlossen in ihrer kleinen Welt den ganzen Urlaub über nur am Strand liegen, ohne ein einziges Mal das Leben im Land kennen zu lernen.
Viele Menschen haben sehr enge Vorstellungen davon, wie ihr Leben aussehen soll, aber diese Frau war darin meisterhaft. Wahrscheinlich würde ihr Leben die nächsten 50 Jahre genau so weitergehen, denn zurück in die Türkei wollte sie nicht. Das hätte für sie bedeutet, zurück in ihr Dorf gehen zu müssen. Sie genoss den guten Lebensstandard, den sich ihr Mann hier erarbeitet hatte, und das war ihr größtes Glück. Dieses Glück sollten auch ihre Kinder haben – mehr brauchten sie nicht, dachte sie, denn mehr konnte sie sich nicht vorstellen.
Wie sie die Kinder auf die Zukunft in einer globalen Welt vorbereiten sollte, wie sie ihnen Geschichten vom Leben im großen, weiten Land erzählen sollte, wie sie eine kluge und starke Mutter werden konnte, das kam ihr nicht in den Sinn. Sie gab ihnen ein großes Herz und ihre ganze Liebe, ein warmes Nest und starke Wurzeln, und sie war jederzeit bereit, sich für sie zu aufzuopfern – »ihre Haare zum Besen machen«, saç ýný süpürge yapmak , nennt das der türkische Volksmund. Vielleicht wäre sie traurig darüber gewesen, welche Chancen an ihr und ihrer Familie vorbeizogen, wenn sie sie erkannt hätte, doch alleine konnte sie das kaum. Ihr ging es wie vielen Menschen, die wenig Bildung haben und die Komplexität des Lebens nicht durchschauen.
Sie bemerkte auch nicht, dass sie mit ihrer Lebensart langsam, aber sicher verblühte, dass ihre Schönheit verwelkte, weil sie nicht wusste, wie man sie pflegen muss, und dass sie immer kränker werden würde, wenn sie nicht lernte, gesund zu leben, gesund zu kochen und sich mehr zu bewegen.
Sie hätte vielleicht erst einmal sich selbst kennen lernen müssen, ihre Talente und Träume und ihre Vorlieben und Wünsche, bevor sie die vielen schönen Seiten des Lebens hätte entdecken und genießen können. Und bevor sie sich zugetraut hätte, das Cockpit eines Flugzeugs zu betreten und die Maschine zu fliegen. Aber das alles muss für sie unvorstellbar gewesen sein, so wie es für andere unvorstellbar ist, auf einem anderen Planeten zu leben.
Nachdem wir aus dem Bus ausgestiegen waren, liefen wir noch ein Stück des Weges gemeinsam. Der kleine Junge wurde wach und quicklebendig, Menschen liefen an uns vorbei. Da sagte sie zu mir, dass ich sie besuchen solle und sie leckeren Kuchen für mich backen würde. Das war ein verlockendes Angebot, und ich sagte: » Tamam , na gut, ich überleg es mir. Aber dann gehen wir auch zusammen Fußball spielen.«
Sie schaute mich überrascht an, dann biss sie sich auf die Unterlippe, neigte den Kopf und lächelte verschämt.
»Aber nein, das können wir doch nicht machen, das ist doch was für Männer und für Kinder«, sagte sie.
»Aber doch«, sagte ich »und wie wir das machen können. Da drüben ist ein Sportplatz, hast Du den schon gesehen? Wir ziehen uns schicke Sportklamotten an, du bindest das Kopftuch nach hinten, ich ziehe ein Stirnband über und wir spielen so lange, bis uns die Puste ausgeht. Und danach gehen wir zu dir und essen. Nasil ? Wie wäre das?«, sagte ich, und sie schaute mich nur mit irritierten Augen an.
Der Clown in der Moschee
In einem kleinen Schaufenster spiegelte sich von außen eine große, rote Gumminase. Auf den Kopf wurde eine bunte Mütze gesetzt und mit je einem Ziehen und Flutschen wurden die Hosenträger an die richtige Stelle katapultiert. Dann noch eine dicke Fliege am Kragen fest geknöpft und ein bisschen mit dem Popo gewackelt.
Es machte mir Spaß, dem Clown zuzuschauen, wie er sich in der Spiegelung des Schaufensters
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