Zu Hause in Almanya
ihm so ungewöhnlich gefunden hatte. Er trug keine Perücke, sodass man seine pechschwarzen Haare sehen konnte. Er war noch recht jung und eindeutig Türke. Die Mädchen neben mir bemerkten ihn kaum. Ich fragte sie, ob sie den Clown dort drüben kennen würden, und sie meinten: »Ja, der kommt immer hierher, wenn wir feiern.«
Für sie war er nichts Ungewöhnliches, und auch den Männern schien er nicht aufzufallen. Wie ich erfuhr, war er Student und verdiente sich hier sein Taschengeld, indem er die Kinder unterhielt und damit auch den Erwachsenen eine Freude machte. Anfangs hätten einige in der Gemeinde protestiert, erzählten die Mädchen. So ein komischer, bemalter Typ könne doch nicht in eine Moschee, habe es geheißen. Das sei doch hier kein Zirkus, und er solle seine Späße gefälligst woanders machen. Doch als sie erfuhren, dass der junge Mann ein Student war und Geld brauchte, um sein Studium zu finanzieren, da empfanden sie Mitgefühl.
Er war ein gläubiger junger Mann, und das Beste, was er machen konnte, war, die Menschen zum Lachen zu bringen. Das könne doch nichts Schlimmes sein, hätte er gemeint. Seitdem unterhält er die Kinder und auch die gläubigen Erwachsenen, die ihn trotz seines exotischen Aussehens aufgenommen haben. Wenn er sein Programm beendet hat, schminkt er sich ab und betet mit ihnen im großen Saal der Männer.
Früher wäre das sicherlich unmöglich gewesen. Aber früher hatten auch alte Männer das Sagen in den Moscheen, die einen frommen Dorfislam predigten, der nicht von Theologen, sondern von Laien gelehrt wurde und die es oft nicht einmal böse meinten, sondern es nicht besser wussten. So wie im Christentum, gibt es auch im Islam viel Irr- und Aberglaube, und für den gläubigen Menschen dauert es manchmal seine Zeit, bis er diesen vom eigentlichen Kern des Glaubens zu unterscheiden lernt. Auch in Deutschland waren es anfangs diese Männer, die die Moscheevereine leiteten und prägten, da sie als Gastarbeiter gekommen waren und die Kinder noch klein waren. Das ist heute anders. Heute ist die Theologenausbildung in der Türkei eine der fortschrittlichsten in der islamischen Welt, und oft werden die Moscheen mittlerweile von jungen Leuten geleitet, die dort eine richtige akademische, theologische Ausbildung bekommen haben, denn in Deutschland existiert diese praktisch noch nicht. Mit ihnen weht ein neuer Wind in den heiligen Räumen. Sie predigen nicht auf Deutsch, solange ihre Gemeinde in der Mehrheit aus Türkischstämmigen besteht – deutsche Pastoren und Priester, die in anderen Ländern deutsche Gemeinden betreuen, benutzen schließlich auch ihre Muttersprache. Aber in den hiesigen Moscheen wird längst nicht mehr nur gebetet und der Koran gelehrt, auch wenn das weiterhin das Wichtigste ist, sondern es werden auch viele soziale Aktivitäten angeboten und Kurse und Projekte. Es gibt in fast jedem Moscheeverein, egal welcher theologischen Richtung, Bibliotheken und Computerräume, Cafés oder Fußballmannschaften, und manche Moscheen beteiligen sich an sozialen Aktivitäten in der Stadt oder am interreligiösen Dialog. Das ist in den meisten Moscheen in Deutschland so. Die jungen Imame, die Vorbeter, die aus der Türkei geschickt oder geholt wurden und die dortigen, neuen Gepflogenheiten mitgebracht haben, waren für viele Gemeinden Vorreiter und Vorbilder in diesen Dingen.
Einmal war ich selbst sogar erstaunt, wie weit die Erneuerungen um sich gegriffen haben, als ich auf einem Stadtfest einer Folklore-Tanzgruppe von Jungen und Mädchen zujubelte und erfuhr, dass es die Tanzgruppe der örtlichen DITIB-Moschee war, die von der Religionsbehörde der Türkei gesponsert wurde. Das hatte selbst ich als Muslimin noch nicht mitbekommen, allerdings bin ich auch selten in der Moschee. Eine Tanzgruppe, die in einem Moscheeverein ausgebildet wird, wäre vor zwanzig oder noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Doch inzwischen gibt es nicht nur diese Gruppe, sondern auch noch einen gemischten Chor dazu, in dem Frauen und Männer zusammen singen und musizieren.
Da fallen die vielen Sprachkurse, Bastelkurse, Müllsammelprojekte, Mütterschulungen, Gesundheitsberatungen oder Fußballmannschaften der Moscheen schon gar nicht weiter auf.
Auch die Trennung nach Männern und Frauen ist zwar für die religiösen Zeremonien weiterhin gültig, aber ansonsten wird sie oft nicht mehr so rigide praktiziert, wie es engstirnige Frömmler fordern.
Wie schade nur, dass die deutsche
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