Zu Hause in Almanya
wir über das Wetter und dann über Deutschland.
Sie erzählte mir, dass sie erst seit einigen Jahren hier lebe. Ihr Mann war hier groß geworden, und als es für ihn Zeit wurde zu heiraten und er keine passende Frau in der Umgebung fand, da ging seine Mutter in den Sommerferien in ihr Heimatdorf und besuchte die Nachbarsfrauen, die ledige Töchter hatten. Dort habe sie sie zum ersten Mal gesehen, und weil sie als Tochter einer anständigen Familie einen guten Ruf im Dorf hatte, weil sie als fleißig und gutmütig galt, hätte die Frau aus Deutschland gleich ein Auge auf sie geworfen.
Einige Monate später sei der Sohn vorbeigekommen und die beiden wurden einander vorgestellt. Sie gefielen sich und beschlossen zu heiraten.
Vielleicht hatte sie den Mann nur deshalb gut gefunden, weil er für ihre Verhältnisse wohlhabend war und ihr mehr bieten konnte als die anderen jungen Männer in ihrem Dorf. Vielleicht auch, weil er für sie die einzige Möglichkeit war, jemals in ihrem Leben ins Ausland zu gehen, aber das sagte sie nicht. So sei sie dann eben nach Deutschland gekommen. Damals habe sie sich wahnsinnig gefreut, in so ein reiches und berühmtes Land zu gehen. Es sei das größte Abenteuer ihres Lebens gewesen, denn der am weitesten entfernte Ort, den sie davor je besucht habe, sei die nächste Großstadt gewesen.
»Aber jetzt verstehe ich nicht mehr, warum ich damals so begeistert war. Hier gibt es doch gar nichts«, sagte sie grinsend.
»Hier sind ja auch nur Menschen und keine Superhelden. Und das Wetter ist schrecklich. Ständig ist es grau und kühl.«
Sie wohnte jetzt im gleichen Haus wie ihre Schwiegermutter und hatte drei Kinder. Das im Kinderwagen war das jüngste. Hausarbeit, die Kinder hüten, den Schwiegereltern helfen und die Nachbarinnen besuchen oder befreundete Familien des Mannes – daraus bestand ihr ganzes Leben. Sehr viel mehr hätte sie in ihrem Dorf auch nicht gemacht, außer, dass sie vielleicht noch auf dem Feld gearbeitet hätte.
Wenn sie sich langweilte, klingelte sie nun spontan bei einer türkischen Nachbarin, um zu tratschen – egal ob es zehn Uhr morgens oder zehn Uhr abends war. Oder die Nachbarinnen kamen mit einem Teller Selbstgebackenem zu ihr, und sie saßen stundenlang zusammen. Dein Haus ist auch mein Haus, deine Freunde sind meine Freunde, ist eine weit verbreitete türkische Devise. Zu deutschen Nachbarinnen hatte sie dagegen kaum Kontakt. Fraglich, ob sie so einen unkonventionellen Umgang mit ihnen überhaupt hätte pflegen können.
Sie konnte auch nur wenig Deutsch sprechen. In ihrer Heimat hatte sie nur die Grundschule besucht, und eine Fremdsprache zu lernen war für sie ungefähr so wie im Cockpit eines Jumbojets zu sitzen, 1 000 Knöpfe vor sich zu haben und die Maschine starten zu müssen. So hatte mir das mal eine ältere Frau erklärt.
Aber die Sprache nicht zu können, war für sie das kleinste Problem. Selbst wenn sie sie gekonnt hätte – viel hätte sich nicht in ihrem Leben geändert. Vielleicht hätte sie hin und wieder ein paar Worte mit einer deutschen Nachbarin gewechselt. Aber nur, wenn diese das auch gewollt hätte. Oder sie hätte ein paar Worte mit der Kassiererin im Supermarkt gewechselt.
5 Euro? Bitte schön. Danke schön. Das konnte sie auch so schon. Oder sie hätte mit dem Arzt reden können, wenn sie krank war, aber zu dem ging sie ohnehin nie alleine, weil sie sich schämte. Behördenbriefe las sie nicht, weil das für sie Männersache war, und ihren Kindern bei den Schulaufgaben helfen konnte sie ohnehin nicht, dazu reichte ihre Schulbildung nicht aus.
Nein, sie hatte größere Probleme, als die deutsche Sprache nicht zu können. Sie hatte zum Beispiel kein Hobby! Das einzige, was ihr Spaß machte, war Kochen, deshalb war sie auch so mollig. Die meisten anderen Dinge, die man in seiner Freizeit tun kann, wie Radfahren zum Beispiel, kamen für sie nicht infrage, weil sich das nicht schickt für eine verheiratete Frau, so dachte sie. Und weil dann alle auf ihren Po starren könnten, wofür sie sich geschämt hätte.
In einen Sportverein wäre sie nie gegangen, denn sie hätte Angst gehabt, dass die Deutschen dort sie belächeln würden. Womit sie vielleicht nicht Unrecht hatte. Einen Sportverein für türkische Frauen gab es nicht, und auch sonst gab es keine türkischen Vereine in der Umgebung, außer einem Moscheeverein, einer Teestube für Männer und einem Fußballverein für Jungs.
Was hätte sie also tun können? Schwimmen?
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