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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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Öffentlichkeit davon kaum etwas mitbekommt. Die Moscheevereine machen ihre Angebote natürlich für die Muslime der Gemeinde und finanzieren sich hauptsächlich über deren Spenden. Die Mitarbeiter sind meist ehrenamtlich tätig und opfern ihre Freizeit, sodass die Möglichkeiten begrenzt sind. So bekommen außer ein paar weltoffenen Christen, die türkische Freunde haben oder manchmal aus Neugier hereinschneien, Außenstehende nur wenig mit. Dabei wäre es sicher für jeden ein Gewinn, den Islam mal aus einer ganz anderen Perspektive kennen zu lernen.
    Onkel Mehmet, der Nikolaus
    »Für einen, der verrückt ist, ist jeder Tag ein Fest«, sagen die Türken. Kein Wunder, wenn man das Leben nicht so ernst nimmt und gerne seine Spielchen treibt, dann hat man auch Spaß und selbst der Alltag ist bunt und fröhlich.
    Mehmet, der, obwohl er noch jung war, schon zwei kleine Kinder hatte, war so einer, für den fast jeder Tag ein Festtag war. Auf seinem Anrufbeantworter ertönten Begrüßungen in den exotischsten Sprachen, die keiner verstand – die Anrufer mussten sich ihren Teil denken, wenn sie eine Nachricht aufsprachen.
    Manchmal zog sich Mehmet aus purer Laune zwei verschiedene Socken an, und wenn er irgendwo zu Besuch war, konnte es passieren, dass er plötzlich einen Knallfrosch aus der Hosentasche zückte und alle erschreckte. Am meisten amüsierten sich seine Frau und seine Kinder über ihn, und wenn die Familie zusammen war, dann rauften und spielten sie oft miteinander bis zur Erschöpfung.
    Mehmet war kaufmännischer Angestellter in einer Firma. Er war ein traditionsverbundener Mensch, hatte schon früh geheiratet, weil er seine eigene Familie haben wollte, und sein Hobby war, alles, was sich bewegte, mit seiner Videokamera aufzunehmen. Wie seine beiden Kinder heranwuchsen, hatte er in beinahe täglichen Aufnahmen dokumentiert.
    Er war das, was die Türken einen efendi nennen, ein anständiger Kerl, und er war ein gläubiger Mann, der jeden Freitag in die Moschee ging, um mit den anderen zu beten. Seine spaßige Ader konnte er aber auch dort nicht unterdrücken. Manchmal setzte er sich die Gebetsmütze schief auf den Kopf, sodass alle ihn verwundert anschauten, oder er stellte sich zum Gebet absichtlich in die falsche Richtung, statt nach Mekka, und manche fielen darauf herein und machten es auch so. Andere zupften ihn dann am Arm und zogen ihn in die richtige Richtung. »Mehmet, Mehmet, wann wirst du bloß ein erwachsener Mann?«, sagten die älteren Männer zu ihm, und er sagte:
    »Onkel, ich will gar kein Mann werden, ich bin so zufrieden.« Als seine Kinder eines Tages aus dem Kindergarten kamen
    und ihn fragten: »Baba, wer ist Nikolaus?«, da dachte sich Mehmet, es wäre wohl Zeit, den Kindern etwas über ihn beizubringen, und er sprach mit seiner Frau. Die beiden beschlossen, sich etwas für die Kinder auszudenken. Als sie beide selbst noch klein gewesen waren, hatten ihre Eltern ihnen zumindest ein paar Süßigkeiten in die Schuhe vor der Tür gesteckt und ihnen erzählt, dass es der Nikolaus gewesen sei, der sie beschenkt hätte. Als Kinder hatten Mehmet und seine Frau die Geschichten geglaubt, die ihnen ihre Eltern erzählten, und diese wiederum bezogen ihr Wissen von einer deutschen Nachbarin, die ihnen die Sitte zugesteckt hatte. Aber eines Tages flog natürlich der ganze Bluff auf, als die deutschen Kinder in der Schule erzählten, dass sie auch mal auf so etwas reingefallen waren.
    Geschadet hatte es niemandem, also warum sollte Mehmet seine Kinder nicht auch mit dem Nikolaus bekanntmachen? Zumal der schließlich auch ein Türke gewesen war, wenn man so will, denn er lebte im antiken Myra, dem heutigen Demre in Antalya.
    Als der Dezember näher rückte, besorgte sich Mehmet ein rotes Nikolauskostüm und eine Mütze. Dazu einen weißen Bart und dicke weiße Augenbrauen zum Ankleben und einen Sack, den er auf die Schulter nehmen wollte. Abends, als die Kinder schliefen, nähte seine Frau das Kostüm kleiner, denn es war viel zu groß für ihn, und weil sie schon mal dabei war und sie die rote Farbe des Stoffes so passend fand, nähte sie noch aus Spaß einen kleinen, weißen Halbmond und einen Stern auf die Brust. »So wirst du ein richtiger türkischer Nikolaus«, sagte sie zu ihrem Mann.
    Dann überlegten die beiden, was sie wohl in den Sack hineinpacken könnten. Geschenke? Die bekamen ihre Kinder eigentlich ständig, auch ohne Anlass, aber wenn das nun mal der Brauch war, dann sollte es so

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