Zu Hause in Almanya
Großeltern, meinen Eltern«, erklärte seine Mutter. Seit Jahren schon stand der Koffer bei ihnen im Keller, wo ihn die Großeltern während ihrer Abwesenheit sicher aufbewahrt wussten: Sie lebten nämlich stets nur die Hälfte des Jahres in Deutschland und das andere halbe Jahr in der Türkei. Nicht, weil sie es an beiden Orten nicht länger ausgehalten hätten, sondern weil sie mit ihrem türkischen Pass Deutschland nicht länger als sechs Monate verlassen durften. Andernfalls verlören sie hier all ihre Rechte und dürften womöglich nie wieder zurück. Obwohl sie schon seit fast 50 Jahren hier lebten.
So sind die Gesetze, da die Türkei kein Mitglied der EU ist. Und das bedeutete für die Großeltern, dass sie auf ihre alten Tage noch hin- und herpendeln mussten, wenn sie den Kontakt zu ihren Verwandten und Freunden in der Türkei nicht verlieren und zugleich ihre Kinder und Enkel sehen und die deutsche Heimat hier nicht für immer verlassen wollten.
Wenn die Großeltern bald wieder aus der Türkei zurückkämen, sollte Hasan sie nach dem Koffer fragen, doch er war so ungeduldig, dass er seinen Großvater schon am Telefon von seinem Fund erzählte.
»Der Kaftan ist echt cool, Dede «, sagte er, und sein Dede, der Opa, verstand nicht sofort, was er meinte, denn er hatte den Koffer nach all den Jahren offensichtlich längst vergessen. Doch als er aus der Türkei zurückkam und Hasan ihm den Koffer präsentierte, da freute sich Opa Ahmet wie ein junger Bursche.
So einer, wie er damals gewesen war, als er 1963 nach Deutschland kam, mit diesem ledernen Koffer in der Hand. Die Sachen, die heute darin lagen, hatten er und seine Frau, Hasans Großmutter, sich von ihren Reisen in ihr Dorf mitgebracht und als Andenken aufbewahrt.
Der Großvater war in seiner Jugend ein angesehener Ringkämpfer gewesen, einer von denen in knielanger Lederhose, die sich über und über mit Öl begießen. Ein Pehlivan . Er hatte schon als Junge viele Preise gewonnen und war in seiner Heimatstadt eine echte Berühmtheit. Nachdem er als Arbeiter nach Deutschland gekommen war, hatte er seinen Sport nie wieder ausgeübt, aber für seine Freunde und Bekannten blieb er immer der Pehlivan.
Der Mantel, die Uhr und die anderen Sachen waren Geschenke für seine damaligen Erfolge gewesen, und die Silberkette hatte er seiner Frau gekauft, als er sich in sie verliebt hatte. Auf der Flöte hatte er gespielt, wenn er im Sommer auf der Weide die Schafe hütete, und das Foto gehörte seinem Vater, der Lehrer war, also Hasans Urgroßvater.
Türkische Ölringer beim Kampf.
Als Hasan das alles hörte, da war er froh, dass er die Sachen nicht verkauft hatte, und er nahm sich vor, sie weiterhin aufzubewahren.
Nach einer Weile packten die Großeltern ihre Taschen und gaben ihren Kindern und Enkeln die Geschenke, die sie ihnen wie immer von ihren Reisen mitgebracht hatten. Aber diesmal bekam Hasan kein Trikot von Galatasaray geschenkt, auch keinen MP3-Player und keine Lederjacke. Diesmal bekam er ein halbes Vermögen geschenkt: eine dicke, fette Goldmedaille.
Die anderen alten Sachen im Keller hat Hasan übrigens einem Trödler geschenkt, und seine Eltern freuten sich am meisten über die ganze Aktion, denn der Keller war danach blitzblank.
Teil 4
Grauer Alltag in Almanya
Schein und Sein
Keine Wohnung für Türken
Es gibt viele Arten, eine Wohnung zu suchen. Man kann mit erhobenem Kopf durch die Straßen laufen und nach großen Schildern in den Fenstern Ausschau halten, auf denen »Zu vermieten« steht. Aber das sieht man nicht oft. Man kann Freunde fragen, man kann einen Makler anrufen und sich freie Wohnungen zeigen lassen, oder man kann die klassische Methode wählen und einfach die Zeitungen durchblättern.
Meine Freundin Ayla hatte sich für die letzte Version entschieden und sich in mühsamer Kleinarbeit alle infrage kommenden Wohnungen aus aus den Anzeigen sämtlicher Zeitungen der Stadt herausgesucht. Dann rief sie nach und nach die angegebenen Nummern an. Manchmal hieß es, die Wohnung sei schon vergeben, andere Male, dass sie vorbeikommen und sie anschauen könne. In diesen Fällen war sie natürlich sehr froh. Da vier Augen mehr sehen als zwei, so behauptete sie, überredete sie mich, sie zur Besichtigung zu begleiten, aber ich vermutete, dass es noch einen anderen Grund hatte.
»Wir müssen uns aber schick anziehen, damit wir einen guten Eindruck machen«, sagte sie zu mir am Telefon und obwohl ich mehr der Typ Turnschuhe und
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