Zu Hause in Almanya
haben wolle. »Und wenn du schon mal da unten bist, kannst du gleich einmal richtig aufräumen. Dein Vater ist zu faul dazu und ich bin auch schon seit Jahren nicht mehr unten gewesen«, fügte sie hinzu.
Hasan ging also hinunter in den Keller und musste erst eine Glühbirne in die Lampe schrauben, weil tatsächlich schon lange niemand mehr hier gewesen war und das fehlende Licht unbemerkt blieb. Dann öffnete er das Eisenschloss, schob die knarrende Holztür auf und betrat den Kellerraum. Der Raum war vom Boden bis zur niedrigen Decke vollgestellt mit Kisten und Kartons, mit großen, blauen Plastiksäcken und mit Regalen, in denen sich eingepackte Gegenstände befanden. Hasan wusste gar nicht, wo er anfangen sollte. Mal öffnete er den einen Karton, mal den anderen, bald schaute er in diese Tüte, dann wieder in eine andere. Hier waren offenbar Bücher verstaut, dort Kleidungsstücke, hier Elektrogeräte, dort Geschirr.
Aber Hasan war fest entschlossen, Geld zu verdienen, und wenn er alles, was hier so herumstand, würde verkaufen können, dann wäre er sicher bald ein reicher Mann, dachte er.
Unbeeindruckt vom etwas miefigen Geruch des Kellers krempelte er die Ärmel hoch und begann, im schummerigen Licht sein neues Kapital durchzuarbeiten. Bücher konnte man immer gebrauchen, also raus mit dem Karton. Alte Pfannen und Geschirr ließen sich schlecht verschicken – weg damit. Eine Kiste mit Lederjacken? Schon besser. Eine Tüte Legosteine – nicht schlecht.
Während er langsam die Fundstücke sortierte, fiel ihm mit einem Mal in einer Ecke ein alter, brauner Lederkoffer auf, der halb von einem Spinnengewebe und halb von einer Spielzeugtüte bedeckt war. Einen Lederkoffer konnte man bestimmt auch gut verkaufen, dachte er sich, schob einige Kartons und Regale zur Seite und bahnte sich den Weg in die Ecke. Dann wischte er das Spinnengewebe weg und zog am dicken Griff des Koffers. Doch der bewegte sich nicht. Er zog noch einmal, und wieder war der Koffer kaum von der Stelle zu bewegen. Erst mit einem erneuten starken Ruck löste er sich zwischen den anderen Gegenständen heraus und Hasan stellte fest, wie schwer der Koffer war, obwohl er nicht einmal besonders groß war. Mit viel Mühe zog er ihn aus der Ecke und schleifte ihn zur Tür. Dann legte er ihn vor sich auf den Boden und betrachtete ihn in seiner ganzen Pracht. Auf der Oberseite war aus gelben Klebestreifen das Wort »Pehlivan« aufgeklebt worden, und an einer Ecke schaute aus dem Koffer der Zipfel eines Tuchs hervor, dessen Kanten mit Perlen bestickt waren.
Hasan griff die beiden goldfarbenen Verschlussklappen und wollte sie öffnen, doch er hatte keine Chance, sie saßen bombenfest. Er schlug mit den Handflächen auf die Klappen, rüttelte und schüttelte den Koffer, richtete ihn auf, zog am Griff, versuchte es hier, versuchte es dort, aber nichts tat sich. Längst hatte er die anderen Gegenstände im Keller vergessen, und er war wild entschlossen, diesen Koffer zu öffnen.
Also staubte er den Koffer noch einmal so gut es ging mit den Händen ab, schloss die Tür hinter sich wieder zu und brachte den Koffer nach oben in sein Zimmer.
Es dauerte eine Weile und verschiedene Werkzeuge, bis er es schaffte, den ersten Verschluss zu öffnen. Schließlich durfte er ihn nicht beschädigen, er wollte ja den Koffer noch verkaufen. Da, klack, öffnete sich der andere Verschluss. Hasan legte das Werkzeug zur Seite, schaute sich den Koffer noch einmal an und klappte den Deckel hoch.
Was er sah, überraschte ihn. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ganz oben lag ein altes, vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto, darunter ein bunter Stoffbeutel, außerdem eine Holzflöte, ein Holzlöffel, alte Silbermünzen in einem durchsichtigen Säckchen und noch viele weitere kleine Gegenstände. Vor allem aber war der Koffer voll mit Musikkassetten. Alle Jahrzehnte alt und von Sängern, von denen er noch nie gehört hatte. Yüksel Özkasap, Zeki Müren, Baris Manco. Halt, doch, den kannte er. Auf dem Cover war ein junger Mann mit langen schwarzen Haaren und einem Schnurrbart, dessen Spitzen ihm bis zum Kinn reichten. Er lebte schon seit fast zehn Jahren nicht mehr, aber Hasan hatte im Internet eine Remixversion eines seiner Lieder gehört. »Cool«, dachte er sich, »so hat der mal als junger Mann ausgesehen.« Er kramte weiter in den Kassetten herum.
»Was? Elvis Presley? Wie kommt der denn hierhin?«, fragte er sich und grinste. Daneben Bülent Ersoy. »Donnerwetter,
Weitere Kostenlose Bücher