Zu Hause in Almanya
die war mal ein Mann?« Als die Sängerin Bülent Ersoy sich hatte umoperieren lassen, war Hasan noch gar nicht geboren gewesen. Stück für Stück entleerte Hasan den Inhalt des Koffers, und als er auf ein weiteres Foto stieß, dämmerte es ihm allmählich, was es mit diesem Koffer auf sich haben könnte. Auf dem Foto war eine Familie abgebildet, eine alte Frau mit einem Kopftuch, ein Mann mit einer Nickelbrille und Seitenscheitel und mit einem Schnurrbart, zwei erwachsene Kinder und noch ein kleiner Junge, der auf dem Schoß der alten Frau saß. Es musste ein Familienfoto sein, dachte sich Hasan, und die Gesichter kamen ihm bekannt vor, aber wer waren diese Leute?
Er legte das Foto zur Seite und griff nach der Holzflöte. Ein feiner, hoher Klang kam heraus, anders als bei der Blockflöte, die er in der Schule gespielt hatte. Als nächstes nahm er den Beutel und öffnete den Knoten. Heraus kamen gefaltete, bunte Baumwolltücher, deren Ränder mit Perlen bestickt waren. Solche, wie sie seine Oma auch manchmal trug. Dann ein alter Rasierpinsel mit einem schweren Rasiermesser, eine kleine, silberne, runde Taschenuhr, die stehen geblieben war. Er nahm die Uhr, klopfte drauf, rüttelte sie, klappte sie auf und zu, dann steckte er sie in die Brusttasche seines T-Shirts. Als nächsten zog er eine Fellmütze aus dem Beutel. Er setzte sie sich auf den Kopf, stand auf und schaute in den Spiegel. Sie war ein bisschen zu groß, aber er fand sie richtig cool und behielt er sie gleich an.
Dann fand er eine schwere Kette, die aus Silbermünzen und einigen eingefassten Edelsteinen bestand. Sie klimperte dumpf und schien tatsächlich wertvoll zu sein. Für die würde er bestimmt sehr viel Geld bekommen, dachte er sich.
Unter dem Beutel lag noch ein zusammengerolltes Kleidungsstück, das er vorsichtig herausholte, offenbar war noch ein Gegenstand darin eingewickelt. Zuerst dachte er, es sei eine bunte Blumenvase aus Glas, doch dann sah er den langen Gummischlauch, an dem ein Mundstück befestigt war und das kleine Tellerchen. Vorsichtig setzte die Teile zusammen. Na klar, es eine Nargile, eine Wasserpfeife.
»Dafür krieg ich richtig Kohle«, dachte sich Hasan und rieb sich vor Freude die Hände. Dann stand er auf und entrollte das Kleidungsstück, in dem die Nargile eingewickelt gewesen war. Es war ein dunkelroter, fast schwarzer Mantel. Er war am Kragen über und über mit einem farbigen Muster bestickt, ebenso an den Schultern und an den Ärmeln, die wie Trompeten weit auseinandergingen und zwei lange Schlitze unten an den Seiten hatten. Ein normaler Mantel war das jedenfalls nicht. Natürlich musste Hasan auch diesen anprobieren. Wer immer ihn getragen hatte, er musste größer als er selbst gewesen sein. Er fand noch einen breiten Stoffgurt, der farblich zu dem Mantel passte und den er sich anlegte, und dann vervollständigte er sein Outfit, als er noch leichte, schwarze Lederstiefel im Koffer fand, die er anzog. Als er sich so im Spiegel sah, musste er fast lachen. Jetzt fehlten ihm nur noch ein Schwert und ein Schnurrbart, dachte er sich, dann sähe er aus wie die Kerle in den alten türkischen Historienfilmen, die gegen Könige und Despoten kämpften. Das fand er ziemlich cool, und er posierte vor dem Spiegel mal in die eine, mal in die andere Richtung wie beim Fotoshooting. Sollte er die Sachen wirklich verkaufen? Während er noch unschlüssig über die Frage grübelte, ging plötzlich die Tür auf und seine Mutter kam herein. Sie erschrak fürchterlich und schrie laut auf: » Allah! Bu ne ?! Was ist das?!«
Hasan fing an zu lachen und konnte kaum antworten.
»Korkma korkma, keine Angst, ich bin’s, dein Sohn!«, keuchte er.
»Was sind das denn für Klamotten, O ðlum ?«, fragte sie. »Und was ist das für ein Koffer?«
Gerade wollte Hasan zu erzählen ansetzen, da beugte sie sich zu dem Koffer hinunter und schluchzte mit weinerlicher Stimme: »Ooooh, meine liebe Oma, mein Opa! Ah canlarým . Meine lieben Herzchen«, rief sie und stürzte sich auf die Sachen.
»Mama, ich sag dir, damit machen wir ordentlich Kohle«, strahlte Hasan. »Ich schwör dir, das sind alles Antiquitäten, dafür krieg ich ein Vermögen!«
»Bist du verrückt?!«, rief seine Mutter. »Diese Sachen wirst du auf keinen Fall verkaufen. Am besten ist, du packst alles wieder ein und legst den Koffer dahin zurück, wo du ihn gefunden hast.«
Hasan war maßlos enttäuscht. »Aber wo kommen denn die Sachen überhaupt her?«
»Von deinen
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