Zu Hause in Almanya
bald dort zur Schule gehen, erzählte der Neue. Danach kam er nur noch selten zu den anderen. Dafür aber standen die beiden jüngeren, ein Mädchen und ein Junge, oft vor der Haustür und beobachteten die anderen.
Eines Tages fragte Serpils Mutter sie: »Warum redet ihr eigentlich nicht mit den neuen Kindern?«
Serpil zuckte die Achseln: »Wir kennen sie doch nicht, Mama, sie kommen ja nicht zu uns!«
»Na, die trauen sich wahrscheinlich nicht. Ihr könnt sie doch nicht immer so alleine da stehen lassen«, sagte ihre Mutter.
» Onlar ý da aranýza alýn , nehmt sie bei euch auf! Sie sind doch fremd hier, sie kennen sich nicht aus. Das ist euer Viertel, ihr müsst ihnen zeigen, dass ihr sie bei euch haben wollt. Fragt sie, wer sie sind und warum sie hergezogen sind, zeigt ihnen, wo der Supermarkt ist und wo die die Gärten sind, erzählt ihnen, wer in welchem Haus wohnt, und dann fragt sie, was ihre Eltern machen, und so lernt ihr euch kennen.« Serpils Mutter war eine kluge Frau, die bei vielen Menschen beliebt war und viel von guten Beziehungen verstand. Serpil wollte beim nächsten Mal ihren Rat befolgen und erzählte es ihrer Clique. Da die meisten auch neugierig auf die Neuen waren, fanden sie die Idee gut, und als Serpil eines Tages zusammen mit einer Freundin zu den beiden Geschwistern hinüberging, da winkten ihnen die anderen zu und riefen, sie sollten doch herkommen. Die beiden schienen nur darauf gewartet zu haben. Von nun an gehörten sie zur Clique. Sie freundeten sich an und es war selbstverständlich, dass die anderen ihnen helfen würden, sich in ihrem Viertel zurechtzufinden.
Auch wenn es vielleicht im ersten Augenblick nicht auffällt: Das, was Serpil und ihre Clique getan hatten, das nennt man Integration. Es bedeutet, dass eine Gruppe neue Mitglieder aufnimmt und ihnen dabei hilft, dazuzugehören. Das Gleiche machen Fußballmannschaften, wenn sie einen neuen Spieler bekommen, oder Familien, wenn sie Kinder adoptieren, und auch ganze Länder müssen das tun, wenn sie neue Bürger aufnehmen.
Die Alteingesessenen nehmen die Neuankömmlinge auf, indem sie ihnen nicht nur ihre Türen, sondern auch ihre Herzen öffnen. Denn wenn sie ihnen zeigen würden, dass sie sie nicht mögen, dann hätten die Neuen niemals eine Chance. Ein Fußballspieler, der neu in eine Mannschaft kommt, kann niemals gut mitspielen, wenn die anderen Spieler ihn ausgrenzen. Was könnte schon ein einzelner Spieler gegen eine ganze Mannschaft tun?
Die Neuankömmlinge brauchen auch deswegen die Hilfe und Unterstützung »der Clique«, weil sie selbst sich nicht auskennen, weil sie nicht wissen, wie das Leben vor Ort abläuft, wie die Spielregeln sind, wie sie was zu erledigen haben oder wie sie sich wo verhalten müssen, um erfolgreich zu sein.
Deshalb besteht Integration zunächst aus einer Reihe von Aufgaben, die eine Gruppe, eine Mehrheit oder ein System erfüllen muss, um den Einzelnen oder die Minderheit aufzunehmen und sie zum Bestandteil des großen Ganzen zu machen. Das bedeutet Integration im eigentlichen Sinn. Für Cliquen genauso wie für Familien oder Fußballvereine oder Staaten.
In Deutschland entsteht erst allmählich eine solche Integrationspolitik, da unsere Politiker erst vor wenigen Jahren begonnen haben, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie mit zugewanderten, neuen Bürgern umgehen wollen. In der Vergangenheit haben Politiker, wenn es um eine Regelung der Einwanderung ging, gern steif und fest behauptet, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. So konnte es auch keine Einwanderer geben, sondern nur Ausländer und Gastarbeiter, und die würden nicht lange bleiben, sondern bald wieder gehen. Dementsprechend brauchte man auch keine Integrationspolitik. Wie anders die Sache in Wirklichkeit aussah, gestehen Politiker heute ein.
Seit den 1950er Jahren waren mit den Arbeitern aus Italien, Griechenland, der Türkei und anderen Ländern Menschen gekommen und zu Einwanderern geworden. Die Kirchenzeitung des Erzbistums Köln schrieb bereits 1963, dass diese Menschen hier Wurzeln schlagen würden, dass sie Kinder bekommen und ihre Familien zu sich holen und dass sie sesshaft und somit zu Einwanderern werden würden. Aber damals wollten das die Politiker nicht sehen.
Die Begriffe sorgen noch immer für viel Verwirrung, und noch immer ist die Situation nicht eindeutig und vor allem nicht so einfach. Ein Einwanderungsland im klassischen Sinne ist Deutschland nicht. Auch hört man hierzulande oft die
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