Zu Hause in Almanya
selektieren muss man als Journalist immer. Aber in unserem meist hektischen, journalistischen Arbeitsalltag fehlen zu oft die Zeit und der Idealismus, es besser zu machen, und so nehmen die Bilder ihren Lauf und die Vorurteile bekommen neue Nahrung.
Dazu kommt der politische Aspekt, der traurigerweise in vielen schlechten Nachrichten und Sensationsmeldungen steckt. Wie ein bekannter Medienforscher sagt, gehen deutsche Medienmacher oft viel zu unkritisch gerade mit konservativen Politikern um. Statt die Dinge objektiv zu betrachten und zu kommentieren, wie es ihre Aufgabe wäre, reden sie der Politik oft nach dem Mund, wenn es um Zuwanderer geht, meint er. Hinter einer großen Anzahl aufgeblasener und immer wiederkehrender Negativnachrichten über kriminelle Ausländer und unterdrückte Türkinnen steckt vielleicht eine Absicht, etwa die, den Beitritt der Türkei zur EU zu verhindern oder wenigstens zu erschweren. Da nützt es durchaus, wenn möglichst viele Leute sich dieser Meinung anschließen und Angst vor Türken haben. So werden wir alle Opfer von Stimmungsmachern, die einen Keil zwischen uns treiben wollen, zwischen die Zugewanderten und die Alteingesessenen. Gerade in Wahlkampfzeiten artet das oft in regelrechte Kampagnen aus. Diese Strategie der politischen Einflussnahme durch die Medien ist weder neu noch außergewöhnlich und natürlich nicht auf dieses Thema oder auf Deutschland beschränkt. Sie gilt bei anderen Themen ebenso wie in anderen Ländern, aber eben auch bezogen auf Türken in Deutschland, Muslime oder Zuwanderer allgemein.
Die Medien sind auch verantwortlich dafür, dass bestimmte Begriffe in Umlauf gebracht wurden, die in ihrer Verwendung grundsätzlich falsch sind. Das Wort »Parallelgesellschaft« ist eines davon. Es wird behauptet, türkischstämmige Menschen würden sich in bestimmte Gegenden zurückziehen, abschotten und in Parallelgesellschaften leben. Doch dieser Begriff wurde für die Türken in Deutschland nicht von Soziologen eingebracht, also von Experten, die es wissen müssen, sondern von Medienleuten. Richtige Parallelgesellschaften, wie zum Beispiel in Frankreich, wo manche Zuwanderer völlig isoliert unter sich leben, gibt es in Deutschland nicht, da sind sich die Soziologen einig. Trotzdem wird das Schlagwort immer wieder benutzt. Nicht alle Medienleute machen bei diesem Spiel mit. Besonders in jüngster Zeit wird immer wieder auch über Hintergründe, über bisher untypische Dinge berichtet, über Kulturelles wie Literatur und Musik aus der Türkei, und es gibt Programme, in denen Journalisten wie ich und viele deutsche Kollegen versuchen, auch andere Seiten von Zuwanderern zu zeigen. Das Bewusstsein dafür, dass man umdenken muss, macht sich zögerlich breit.
So schlimm wie früher ist es aber heute nicht mehr. Zumindest gibt es mehr Protest, wenn wieder einmal offen Vorurteile gegen Ausländer geschürt werden. Protest von Deutschen und auch von Zuwanderern selbst.
Heute sieht man in Casting-Shows, wie gut oder wie schlecht Leute singen, die keine deutschen Namen tragen, oder in Talkshows am Nachmittag, dass diese Gäste genauso dumm oder genauso intelligent sind wie die deutschen. Aber auch dort werden noch immer Ausländer viel zu oft nur in bestimmten Rollen präsentiert. Und in Serien, Spielfilmen oder in der Werbung tauchen Türken als normale Menschen von nebenan auch selten auf.
Wie gut, dass es heute Moderatoren und Schauspieler und Künstlerinnen gibt, die türkischer Herkunft sind und die Klischees nicht bedienen. An ihnen sieht man, dass sie tatsächlich ganz normale Menschen sind, wie alle anderen Deutschen auch. Wurde aber auch Zeit.
In welchem Land leben wir?
Serpil hatte in ihrem Viertel viele Freunde. Mehr noch, sie waren eine richtige Clique und trafen sich fast jeden Tag nach der Schule an ihrem Stammplatz, in der Nähe der Wohnhäuser.
Alle, die schon länger hier wohnten und sich kannten, kamen dort hin und manchmal brachten sie auch den kleinen Bruder mit oder einen Freund oder eine Freundin, die zu Besuch gekommen waren.
Eines Tages zog eine neue Familie ins Viertel. Die drei großen Kinder halfen ihren Eltern beim Tragen der Möbel. In der Clique rätselten alle, wer sie wohl seien und woher sie kämen. Erst nach ein paar Tagen wurde ihre Neugier gestillt, als der Älteste der drei Geschwister zur Clique kam und sich vorstellte.
Sie kämen von weit her, weil der Vater eine neue Arbeit in der Stadt gefunden habe, und die Geschwister würden
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