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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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anders aus, wenn man es plötzlich von der anderen Seite betrachtet. Versetzen wir uns in die Lage der deutschen Auswanderer, so können wir mit einem Mal besser nachvollziehen, dass auch sie in der Fremde an ihren heimischen Gewohnheiten festhalten möchten – womöglich sogar mehr, als sie dies in Deutschland getan hätten und irgendwie ist das auch verständlich. Aber manche Menschen hier wünschen sich, dass Einwanderer in Deutschland sich eben genau anders verhalten, dass sie unauffällig und angepasst, »verdeutscht« oder vielleicht sogar noch deutscher als die Deutschen selbst sind. Erst dann, so denken sie, wären sie integriert.
    Was also muss der Einzelne tun, um dazuzugehören? Muss ein Fußballspieler nicht die Regeln des Spiels beachten, so wie man die Gesetze eines Landes beachten muss? Oder muss ein Adoptivkind nicht bereit sein, die Eltern auch als Eltern anzuerkennen? Sicherlich, das ist schließlich die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt zusammenkommen kann. Aber wie viel darf man von dem Neuankömmling erwarten? Muss ein Fußballspieler unbedingt perfekt Deutsch können, um in der Mannschaft mitspielen zu können, oder reicht auch ein einfaches Deutsch zur Verständigung? Hängt das nicht auch davon ab, wie gut er spielt, wie gut er sich auch ohne die richtigen Wörter ausdrücken kann, und vor allem, wie gern man ihn in der Mannschaft haben möchte? Und was ist, wenn dem Neuen jahrelang niemand geholfen hat, dazuzugehören und er folglich immer noch Schwierigkeiten mit bestimmten Dingen hat – kann man ihm dann vorwerfen, er habe versagt? Muss die Mehrheit, die stärkere Seite nicht den Anfang machen? Dann kann sie auch mit Recht fordern, dass der andere mitmacht.
    Viele türkischstämmige Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass die Deutschen sie gar nicht haben wollen, egal wie angepasst oder erfolgreich oder integriert sie sind. Das ist nicht ganz unbegründet, denn dadurch, dass Deutschland jahrzehntelang kein Einwanderungsland sein wollte und keine Integrationspolitik betrieben hat, haben sich sehr viele Benachteiligungen summiert, die man nicht gleich auf den ersten Blick erkennt, aber die die Einzelnen noch immer zu spüren bekommen können. Lange Zeit wurden zum Beispiel für die Gastarbeiter und ihre Familien keine Sprachkurse angeboten, weil man glaubte, sie würden ohnehin bald wieder gehen. Heute aber wird ihnen vorgeworfen, dass sie die schwere, deutsche Sprache nicht beherrschen. Unter der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit fast doppelt so hoch wie unter der deutschen, und etwa ein Drittel von ihnen lebt an der hierzulande gültigen Armutsgrenze. Die Ursachen dafür liegen vor allem auch in der jahrzehntelang falschen Politik.
    Dadurch, dass die Türkei nicht zur EU gehört und Türken politisch anders behandelt werden als andere, europäische Zuwanderer, haben sie diesen gegenüber einige Nachteile. Sie können keine doppelte Staatsbürgerschaft haben, dürfen keinen einzigen Tag länger als sechs Monate das Land verlassen, da sie sonst nicht mehr nach Deutschland einreisen dürften, auch wenn sie hier geboren wurden oder schon jahrzehntelang hier leben. Sie dürfen sich praktisch nicht mehr in der Türkei verlieben, weil sie den Partner nicht zu sich holen können, wenn dieser kein Deutsch kann. Sie dürfen den Bürgermeister der Stadt, in der sie leben, nicht wählen, geschweige denn die Bundesregierung.
    Rechtlich mag das alles völlig korrekt sein, aber für jemanden, der sein ganzes Leben diesem Land geschenkt hat, wie man so schön sagt, fühlt es sich sehr ungerecht an. Genauso ungerecht, wie wenn man als anständiger Bürger die deutsche Staatsbürgerschaft nicht selbstverständlich bekommt, weil man hier seit Jahren lebt oder sogar hier geboren wurde, sondern erst einen Test machen muss, um feststellen zu lassen, ob man überhaupt dafür geeignet ist, dazuzugehören. Jetzt auch noch das? Türkische Vereine und Organisationen engagieren sich schon seit vielen Jahren in diesen Dingen gemeinsam mit Deutschen, die an der Situation etwas ändern wollen, und einiges hat sich ja bereits auch zum Positiven verändert.
    Ein türkisches Sprichwort sagt: Wenn jemand nicht will, dann könne man ihm mit dem Mund einen fliegenden Vogel in der Luft fangen, er würde einen trotzdem nicht mögen. Auch die größte Leistung wäre also niemals gut genug.
    Die deutschen Politiker wollten jahrzehntelang nicht wahrhaben, was für ein Land

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