Zu Hause in Almanya
Feigenbaum war der König des Gartens. Er war nicht nur der erste und älteste Gartenbewohner, er stand auch noch am schönsten Platz, genau gegenüber dem verschlungenen Gittertor, durch das man den Garten betrat. Er bekam die meiste Sonne und hatte den besten Ausblick über die Dächer des Ruhrgebiets. Es war unmöglich, den Feigenbaum zu übersehen, zumal Onkel Mehmets Enkeltochter kleine, bunte Tücher an die Äste gebunden hatte. Die Oma hatte ihr erzählt, dass man das tun müsse, damit ein Wunsch in Erfüllung ginge, und da das kleine Mädchen viele Wünsche hatte, wurde der Baum immer bunter. Zum Glück konnte sie noch nicht so gut klettern und kam nur an die unteren Äste heran. Sonst hätte der stolze Feigenbaum wohl bald sehr ulkig ausgesehen.
Onkel Mehmet hatte nicht nur den Feigenbaum gepflanzt, sondern auch andere Bäume und Sträucher, und Blumen und Kräuter ebenfalls. Jedes Mal, wenn er wieder im Urlaub in der Türkei war, brachte er sich neue Früchte oder Samen mit und pflanzte sie in seinen Garten. Manches fand er im Garten befreundeter türkischer Frauen, die ihre Pflanzen wiederum aus anderen Regionen der Türkei hatten. Und es kam sogar vor, dass der eine oder andere Bekannte ein kleines Bündel Samen in die Tasche steckte und sie Onkel Mehmet mitbrachte. Die Planzen blühten und gedeihten prächtig, aber manche vertrugen das Klima in Deutschland nicht und brachten nur wenige oder nur schal schmeckende Früchte hervor.
Aber fast jede Pflanze hatte ihre eigene Geschichte, und Onkel Mehmet konnte stundenlang davon erzählen, wenn er seine Besucher im Garten herumführte. Rechts neben dem Feigenbaum stand ein Strauch mit Haselnüssen.
»Der ist von meiner Schwester aus Trabzon«, sagte er. »Direkt vom Schwarzen Meer. Wenn du dich zu den Ästen beugst und deine Ohren an eine Haselnuss hältst, kannst du noch das Rauschen des Meeres hören«, sagte er und lachte dabei.
Mit ihren grünen Zwillingsknospen, die eng von Blättern umhüllt waren, und den Fransen an den Spitzen sahen die Haselnüsse aus wie zwei Kobolde, die neckisch ihre Gesichter verstecken.
»Es gibt auch deutsche Haselnüsse«, sagte Onkel Mehmet,
»aber die kriegst du nicht mal mit einem Hammer kaputt, so hart sind sie. Diese hier kannst du mit den Zähnen knacken, sie sind butterweich und süß und saftig«, pries er stolz die Haselnüsse aus seinem Dorf an. Dann pflückte er gerne einen Schoß voll und verteilte seine Ernte freigiebig an alle.
Auf der anderen Seite des Feigenbaums blühten wilde gelbe
Tulpen, die inmitten des Grüns leuchteten wie Lämpchen.
»Die habe ich von hier, aber die sind sehr selten. Meine Tochter heißt doch Lale, da musste ich sie einfach pflanzen«, sagte er. »Aber sie ist hundertmal schöner als die Blumen hier im Garten. Nicht wahr, mein Mädchen?« Lale war es immer peinlich, wenn ihr Vater in ihrem Beisein so redete. Sie war ja schon fast eine erwachsene Frau und kein Kind mehr.
Lale , die Tulpe, ist eine türkische Nationalpflanze. Schon vor vielen hundert Jahren brachte ein holländischer Gesandter, der die Zwiebeln vom Sultan geschenkt bekommen hatte, sie aus Anatolien mit in seine Heimat. Seit dieser Zeit wurden sie in Holland gezüchtet und waren bald in der ganzen Welt begehrt.
Blumen mochte Onkel Mehmet zwar gern, aber davon hatte er nicht allzu viele. Nur noch ein paar Hyazinthen und türkische Orchideen. »Die haben wir früher sogar zum Essen verwendet, oh, das war lecker«, schwärmte er.
Mehr als alle anderen Pflanzen liebte Onkel Mehmet das Obst und das Gemüse in seinem Garten. Den Baum mit Granatäpfeln, der in jeder Frucht unzählige kleine, blutrote, saure kleine Kerne versteckte. Den Baum mit weißen Maulbeeren und den Strauch mit honigweichen Persimonen.
An anderen Sträuchern hingen giftgrüne Spitzpaprika, die fingerdick und oft über 10 Zentimeter lang waren. Seine Frau hatte sie unbedingt haben wollen, da sie ein wichtiges Gewürz in der türkischen Küche sind. Aber sie durfte sie nur in winzigen Mengen benutzen, schon allein das Berühren der aufgeschnittenen Schote mit der Zunge brannte höllisch, so scharf waren sie.
Neben der Spitzpaprika wuchsen üppige Sträucher mit Pfefferminze, und ihr erfrischender Duft wehte je nach Windrichtung mal hier, mal dort im Garten umher. Sie waren die Lieblinge von Onkel Mehmets Frau. Wenn die Blätter groß genug waren, schnitt sie die langen Stiele ab, fasste sie zusammen und trocknete die Blätter in der Sonne. Einige
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