Zu Hause in Almanya
einmal Worte gebraucht, dann unterhielten sich die Männer in der »Tarzansprache«, wie Erol es nannte.
Erwin zeigte seinem jungen Freund eine Sammlung alter Waffen, die er von seinem Großvater geerbt hatte und die im Wohnzimmer an der Wand hingen. Er machte die Geräusche nach, die sie von sich gaben, zeigte Erol, wie sie funktionierten, und nannte ihre Namen. Erol nahm das eine oder andere Stück in die Hand, prüfte es, probierte es aus, und beide taten so, als würden sie sie benutzen und alberten mit den Knarren herum wie zwei kleine Jungs.
Erwin erklärte seinem Freund die Bezeichnungen der alten Waffen. Eine davon kannte Erol schon: »Mauser«, die war in der Türkei berühmt. Und so waren die Namen aus Erwins historischem Waffenarsenal die ersten deutschen Wörter, die Erol korrekt lernte, dank Erwin, der sie ihm aufschrieb und vorsprach.
Da sie nun so oft zusammen waren, wurde Erols Wortschatz immer größer, und er lernte, wie sich Deutsche zu Hause benahmen, wie Männer und Frauen miteinander umgingen, wie Kinder sich gegenüber ihren Eltern verhielten und wie sie zu ihren Gästen standen. Er lernte Freunde von Erwin kennen und sie nahmen ihn mit zum Angeln, zu Geburtstagsfeiern oder Karnevalspartys. Erol war dankbar dafür, schließlich war er völlig alleine in Deutschland.
Nach ein oder zwei Jahren waren die beiden richtig dicke Freunde geworden, und Erol gehörte schon fast zu Erwins Familie. Auf der Arbeit war er jetzt einer, der als Dolmetscher den Kollegen bei der Verständigung half. Da er mehr Deutsch konnte als die anderen, kamen immer gleich alle zu ihm, wenn es ein Problem gab.
Bald zog Erol aus dem Wohnheim aus, in dem er mit mehreren Kollegen gewohnt hatte, und mietete sich eine eigene kleine Wohnung in einem der Werkshäuser der Firma. Zwar hatte es zunächst geheißen, dass er nur zwei Jahre dort arbeiten und dann zurück in die Türkei fliegen sollte, aber nun kam alles anders. Die Firma brauchte die fremden Gastarbeiter noch immer, und es ergab keinen Sinn für sie, die angelernten Arbeiter fortzuschicken und neue zu holen, die erst wieder eingearbeitet werden mussten. Also sollten sie noch ein paar Jahre länger bleiben.
So entschloss sich Erol, seine Frau und seinen kleinen Sohn aus der Türkei zu sich holen, denn er hatte die Einsamkeit satt und vermisste seine Liebste und sein Kind sehr. Als die Familie wieder zusammen war, da wurde es richtig gemütlich in seinem Leben. So sehr, dass er jetzt auch seine Freunde nach Hause einlud und seine Frau mit den Frauen der Kollegen bekanntmachte. Sie machte aus ihrem neuen Heim ein richtiges Nest, und sie hatte all das, was ihr Mann bisher gelernt hatte, noch vor sich.
Erol lud natürlich auch seinen Freund zu sich nach Hause ein und diesmal lernte dieser die türkischen Gepflogenheiten kennen. Die beiden Frauen tauschten sich gegenseitig aus, obwohl keine die Sprache der anderen sprach. Erwins Frau lernte, wie man würziges, türkisches Essen kochte, und bewunderte die vielen bunten Kopftücher, die Erols Frau in kunstvoller Handarbeit bestickte. Die beiden Familien wuchsen immer mehr zusammen. Erwin fuhr mit seiner Frau in die Türkei, um bei Erol und seinen Verwandten Urlaub zu machen.
»Donnerwetter, Erol«, sagte er dann, »so traumhafte Strände habt ihr und so tolles Wetter. Da fliegen wir nächstes Jahr gleich wieder hin.« Viele Jahre später kaufte Erwin sich dort sogar ein kleines Ferienhaus und begann schließlich, über die deutschen Touristen zu meckern, als diese immer mehr und mehr wurden.
Auch Erol kaufte sich ein Haus, aber in Deutschland. Seine Frau schenkte ihm zwei hübsche Töchter und einen Sohn, der, als er mit der Schule fertig war, in der gleichen Firma wie sein Vater zu arbeiten begann, als Techniker. Eine seiner Töchter heiratete später einen Mann aus der Türkei und ging wieder zurück, die andere lebte weiterhin bei den Eltern.
Manchmal, wenn die beiden Männer heute mit ihren Familien zusammensitzen, dann erzählen sie ihre Geschichte. Wie sie mit einem heftigen Knall zu Freunden wurden, obwohl keiner die Sprache des anderen verstand. Und wie sie immer mehr die Welt des anderen entdeckten und einander schließlich ein Leben lang verbunden blieben.
Der Zaubergarten
Als Onkel Mehmet eine Feige in die Hand nahm und sie in zwei Hälften teilte, strömte ein wunderbarer Duft heraus. Er atmete ihn tief ein und schloss dabei kurz die Augen. Dann sagte er, dass dieser Duft ihn verwandeln würde. Das
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