Zu Hause in Almanya
band sie an lange Bindfäden und hing sie dekorativ in der Küche auf. Oder sie machte nach mehreren Tagen aus den raschelnden getrockneten Blättern Minzepulver.
Dazu setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden, legte ein großes weißes Tuch über den Schoß und rieb die Blätter so lange zwischen den Händen, bis sie als winziges Pfefferminzkonfetti zwischen den Fingern herunterrieselten. Nach einer Weile roch die ganze Wohnung nach Minze und man konnte wohltuend durchatmen. In den Tagen darauf kochte sie dann Joghurtsuppe, röstete das frische Minzpulver in Butter und ließ die Soße in die Joghurtsuppe hineinfließen.
An schönen Tagen, wenn man draußen sitzen konnte, machte sie ihr Pfefferminzpulver im Gartenhäuschen. Das hatte Onkel Mehmet in die Mitte des Gartens gebaut, aus alten Holzblöcken, die er mit seinem Nachbarn Dieter von einer Baustelle geholt hatte. Dieter hatte eine dicke Säge und half dabei, die Blöcke in baufertige Form zu bringen. Onkel Mehmets Frau verköstigte ihn währenddessen mit Joghurtsuppe und allerlei Speisen aus ihrer Küche. »Der arme Mann, der arbeitet so viel für uns, dann soll er auch schönes Essen bekommen«, sagte sie.
Das Gartenhäuschen hatte ein Zimmer, ein Fenster und eine Art Veranda. Darauf standen Stühle und ein Tisch, aber es wäre nicht das Häuschen von Onkel Mehmet gewesen, wenn es nicht noch eine Besonderheit gegeben hätte: Es war bis aufs Dach bewachsen mit Weintraubenranken, und sie wuchsen schon fast durch das Fenster in das Zimmer hinein.
»Wenn meine Frau mich mal aus der Wohnung wirft und ich hier in diesem Zimmer schlafe, dann muss ich nur den Arm zum Fenster herausstrecken und kann Weintrauben essen«, sagte er.
Die Trauben mochten vielleicht für ihn sein, aber die Blätter waren für seine Frau bestimmt. Aus diesen Weinblättern zauberte sie ein Essen, nach dem sich jeder die Finger leckte. Dolma – gefüllte Weinblätter mit Reis und Pinienkernen und Korinthen. »Weil du die so schön machen kannst, habe ich dich geheiratet«, neckte Onkel Mehmet seine Frau.
Sie war eine richtige Kochfee. In dem Häuschen stand auch ein elektrischer Herd, auf dem sie oft die Rezepte kochte, die sie als junges Mädchen von ihrer Mutter und ihren Tanten gelernt hatte oder die sie neuerdings im türkischen Fernsehen sah. Daneben standen Regale mit großen, verschlossenen Gläsern, gefüllt mit Früchten und Gemüse. Der ganze Garten steckte in diesen Gläsern, all die Erinnerungen, all die Treue und die Sehnsucht, die Onkel Mehmet gepflanzt hatte.
Wenn das Wetter schön war, war der Garten selten leer. Jede Stunde, in der man draußen sitzen konnte, verbrachte die Familie hier, auf der Wiese vor dem Häuschen, inmitten ihrer fröhlichen Pflanzenschar.
Hier trafen sich auch manchmal die türkischen Frauen der Nachbarschaft, setzten sich auf Bodenkissen vor einen niedrigen Tisch und rollten mit langen, dünnen Holzstangen Teigfladen aus, die sie auf einem runden, gewölbten Blech, unter dem ein Feuer brannte, ausbackten. Bis in den späten Abend hinein wurde so gebacken, und die dünnen Fladen wurden dann zu gleichen Anteilen unter den Frauen aufgeteilt. Einmal im Jahr wurde auch der rote Paprika aus dem Garten in großen Töpfen auf einem Grill vor dem Häuschen stundenlang gekocht und frische Paprikapaste daraus hergestellt, die für die türkische Küche unerlässlich ist. In diesem Garten wurde gebrutzelt und genossen, wurde gespielt und gelacht und manchmal auch Fußball geschaut auf einem kleinen Fernseher. Hier durften alle sitzen, die Onkel Mehmet und seinen Garten gern hatten und damit automatisch Freunde der Familie waren. Auch Dieter kam manchmal spontan mit seiner Tochter vorbei und fragte nach, ob das Häuschen noch stünde. Onkel Mehmets Frau packte ihm dann immer eine ganze Tüte voll mit Lauchzwiebeln, Zucchini, Tomaten, Petersilie oder Minze und drückte sie ihm in die Hand. »Deine Frau für dich kochen, ist viel gesund«, sagte sie. »So lange diese Haus hier steht, du auch essen von unsere Garten.« Wahrscheinlich wusste Dieter nicht recht, wie er mit der Großzügigkeit dieser lieben Frau umgehen sollte, und um sich zu revanchieren, brachte er manchmal Süßigkeiten mit.
Auch die deutschen Nachbarn, die die Pflanzen bestaunen wollten oder die vielleicht einfach nur den Fladenduft gerochen hatten, kamen vorbei oder riefen zumindest über ihre Zäune hinweg ein fröhliches »Mehmet, du alter Türke, wie geht’s?«.
»Gut, Kollege,
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