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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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die beredt waren, eine besondere Sprache enthielten. Jede Blüte brachte auf ihre Weise seine Zuneigung zum Ausdruck. Weiße und rosa zurückhaltend und scheu, rote leidenschaftlich, blaue versprachen Treue.
    So einen Blumenstrauß hatte ich noch nie erhalten, oder hatte ich ihn nicht richtig zu deuten gewußt? Nun, nach dieser Lektüre sollte mir das nicht mehr passieren. Wenn ich jene Stelle bei Balzac las, duftete es geradezu in der dumpfen Zelle. Merci, cher Maître!
    Von da ab nahmen die endlosen Tage einen Rahmen an. Vormittags las ich Geschichte, das ging ganz gut. Mit der Belletristik am Nachmittag mußte ich schon ein wenig kämpfen. Das schöne nuancenreiche Französisch ließ mich immer wieder stocken, rätselhafte Ausdrücke und Redewendungen versuchte ich so lange aus dem bereits Gelesenen zu kombinieren, bis ich verstand, mitunter vielleicht auch nur zu verstehen glaubte, was das bislang unbekannte Wort oder gar ein ganzer Satz bedeutete. Und seit auf dem Holztisch links die »Vormittagsbücher« und rechts die »Nachmittagsbücher« lagen, war ja auch schon etwas bei mir, das ich selbst gewählt hatte und hier haben wollte. Und das war sogar noch nicht alles.
    »Könnte ich etwas zum Schreiben bekommen? Ich meine Papier und eine Feder«, fragte ich eines Morgens entschlossen beim Hinaustragen und Reinigen des Eimers und dem Holen frischen Wassers in dem irdenen Krug die diensthabende Aufseherin, eine dickliche ältere Person.
    »Hier darf mit niemandem korrespondiert werden. Sie dürfen auch keine Post empfangen«, war ihr abweisender Bescheid.
    »Ich will niemandem schreiben. Nur so für mich.«
    Sie musterte mich überrascht, fast ein wenig erschrocken.
    »Bien, bien«, sagte sie nach einem tiefen, einem Seufzer ähnelnden Atemzug, »jetzt bringen Sie erst einmal Ihr Zeug in die Zelle, schön vorsichtig, damit das Wasser nicht aus dem Krug schwappt. Haben Sie nichts mehr zum Lesen? Sie stecken doch immerfort in den Büchern.«
    »Danke, zum Lesen habe ich genug, aber ich hätte gern Papier und Schreibzeug«, wiederholte ich hartnäckig.
    »Bien, bien«, wiederholte nun auch sie und klappte energisch das Guckloch zu.
    Als mich am Nachmittag eine andere Aufseherin vom Ausgang im Gefängnishof (dieser freudlose Trott wurde hier hochtrabend als »Promenade« bezeichnet) in die Zelle zurückbrachte, sagte sie: »Sie haben Papier und Schreibzeugverlangt. Morgen kriegen Sie etwas. Ihr Untersuchungsrichter hat es bewilligt.«
    Der gute Capitain de Moissac! Der hat mir auch sonst geholfen.
    Am nächsten Tag brachte man mir ein Heft, ein Tintenfaß und einen Federhalter mit einer Krakelfeder. Damit änderte sich meine Tageseinteilung. Am Vormittag schrieb ich, am Nachmittag las ich. Wenn ich dann beim Kommando: Licht aus! auf meinen Strohsack sank, belebte sich die Zelle, kaum daß ich die Augen schloß. Gepanzerte Ritter und ihre lieblichen Schönen tummelten sich in dem für sie völlig unpassenden Raum, dazwischen tollten ganz unbekümmert Prager Kinder, denn was ich am Vormittag schrieb, war ein Kinderbuch, eine Art Detektivgeschichte mit ganz jungen Helden, ein Kinderkrimi ohne Gewalt und Blut. In nächtlicher Stunde erschien in meiner Zelle auch die berühmte Schönheit und Geliebte Ludwigs XV., die Marquise de Pompadour, und ließ sich nicht nur von den gewohnheitsmäßig galanten Kavalieren, sondern auch offensichtlich amüsiert von den erstaunt gaffenden jungen Pragern bewundern, deren Fahrräder wiederum sie in Verwunderung versetzten. Das war doch etwas ganz anderes als die langsam dahinschaukelnden Sänften, in denen einem oft schwindlig wurde und wo man bei jedem überraschenden Stoß trotz der seidenen Polsterung womöglich einen blauen Fleck auf dem gepuderten Arm oder gar noch an einer anderen empfindlichen Stelle davontragen konnte. Die Kinder bestaunten die prachtvollen Gewänder der Herrschaften und mußten in den auf sie einströmenden Parfumwolken gewaltig niesen.
    Kein Wunder, daß es mir leid tat, wenn plötzlich die Sirenen auf dem Dach des Gefängnisses aufheulten und meinen Traum mit dem sonderbaren Karneval in der Zelle schlagartig unterbrachen. Ich griff mechanisch, der entsprechenden Anordnung folgend, nach Gasmaske und Mantel, ließ mich noch ganz benommen in den verdunkelten Korridor schieben und mit den übrigen Insassinnen in denLuftschutzkeller abführen. Erst dort, im trüben Licht der Notlampe und angesichts der bewaffneten Männer der Garde Mobile, die ihre Gewehre ganz

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