Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
ich, welchen Wert solche Erklärungen am Anfang des Jahres 1939 hatten. »Vorläufig bleiben Sie hier, ma petite, und wenn es mal ganz schlimm werden sollte, man weiß ja nie, dann kommen Sie ruhig wieder beiuns vorbei. Wir versprechen nichts, aber wenn es irgendwie geht, helfen wir. Na ja.«
Damit war ich entlassen, verabschiedete mich dankend von den beiden Damen und schleppte in einem Margarinekarton meinen kostbaren neuen Besitz gleich mit. Das war mein erster und letzter Besuch in einem Pariser Hilfskomitee, und er endete, wie man sieht, mit einem wirklich glücklichen Resultat. Die Schreibmaschine habe ich freilich niemals zurückgebracht, was keineswegs meine böse Absicht war, sondern die Schuld mir aufgezwungener Umstände. Das gehört jedoch in ein anderes Kapitel.
Neben diesen materiellen Angelegenheiten, denen ich keinen besonderen Wert beimessen wollte, obwohl sie natürlich von entscheidendem Wert waren, gab es auch zahlreiche andere Erfahrungen in meinem Emigrantendasein, die mich beeindruckten. Alles war neu für mich: in erster Linie Paris, in dem ich mich allmählich nicht mehr so fremd fühlte. Da gab es das Hotel Jacob in der Rue Jacob im lateinischen Viertel, in dem Hoffmeister und Pelc die ersten Wochen und Monate wohnten, bei denen ich oft vorbeikam. Gleich um die Ecke befand sich die Rue Bonaparte, wo im Haus Nr. 18 während des Ersten Weltkriegs Professor Thomas Garrigue Masaryk und Dr. Edvard Beneš die Gründung der Tschechoslowakischen Republik vorbereiteten. Nun lief ich durch dieselbe Straße mit dem kühnen Vorhaben, bei der Befreiung dieser Tschechoslowakei mitzuhelfen. Welch ein Gefühl! Meine beiden Landsleute aus dem Hotel Jacob machten ein billiges kleines Restaurant ausfindig, dessen Besitzerin einst eine russische Fürstin gewesen sein soll. Dorthin pilgerten wir oft zum Abendessen; manchmal war auch der Schriftsteller und Dramatiker František Langer dabei, der in Prag zu den regelmäßigen Diskussionsteilnehmern bei den Zusammenkünften mit Präsident Masaryk im Haus der Schriftsteller und Maler, der Brüder Karel und Josef Čapek, zählte. Und nun saß ich mit solchen Persönlichkeiten an einem Tischchen in dem etwas schmuddeligen, aber recht gemütlichenLokal einer einstigen russischen Fürstin! Und wurde von meinen älteren Tischgenossen liebevoll umsorgt und beinahe durchaus ernst genommen.
Manchmal besuchte ich auch die nach Paris übergesiedelte Emigrantenredaktion der »Deutschen Volkszeitung«, für die ich während ihres Asyls in Prag vor den Behörden als verantwortlicher Redakteur gezeichnet hatte. Deshalb fühlte ich mich ihr weiterhin verbunden. Bei einem meiner Besuche sagte Chefredakteur Lex Ende: »Fein, daß du gerade heute bei uns auftauchst. Wir beide gehen jetzt zusammen weg, ich kaufe unterwegs ein paar gute Zigarren, und die bringen wir gemeinsam dem Hermann Duncker, der heute fünfundsechzig Jahre alt wird.«
Bislang war Hermann Duncker für mich ein Name aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, jemand, der am Anfang unseres Jahrhunderts mit Rosa Luxemburg und Franz Mehring in der Redaktion der »Deutschen Volkszeitung« (einer Vorläuferin »meiner« DVZ in Prag) gesessen hatte. Jetzt ging ich zu seiner Geburtstagsfeier. In Paris gab es so etwas eben. Daß jemand fünfundsechzig Jahre alt wird, kam mir mit meinen knapp zwanzig wie ein historisches Ereignis vor, ein wenig unwahrscheinlich und ungeheuer interessant. Als Teilnehmer an solchen Begebenheiten fühlte ich mich beinahe schon selbst wie ein Klassiker.
An das Lokal, in dem diese Feier stattfand, kann ich mich nicht mehr erinnern, nur daran, daß ich dort unter den Gratulanten auch den sozialdemokratischen Abgeordneten Rudolf Breitscheid kennenlernte, der später in Frankreich den deutschen Nazis in die Hände gefallen ist und von ihnen ermordet wurde. Er war ein sehr freundlicher, älterer Herr, plauderte ein wenig mit mir und meinte, ich solle einmal zu ihnen zu einem Mittagessen kommen, seine Frau würde sich darüber sehr freuen. Diese Einladung schmeichelte mir, schließlich war der Mann ein prominenter Politiker. Zu ihrer Verwirklichung ist es jedoch nicht mehr gekommen.
Hermann Duncker, der vor seiner Flucht aus Deutschland von den Nazis im Zuchthaus Brandenburg und in Spandau gefangen war, hielt eine kleine Rede, war in dem Freundeskreis und mit all den Glückwünschen offenbar ein wenig gerührt und sprach unter anderem einen Satz aus, den ich mir bis heute gemerkt habe:
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