Zu keinem ein Wort
dass zumindest diese Zeit des Spotts vorüber war.
Auf dem Rückweg verabredeten Jutta und ich, während der Handarbeitsstunden im Heim etwas für Tante Meta zu stricken. Auch wenn es immer weniger Wolle gab, für ein Paar Handschuhe würde es reichen.
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Im Mai 1942 gab es eine neue Anordnung: Alle Juden ab sechs Jahren mussten ab sofort deutlich sichtbar auf ihrer Kleidung den gelben Stern tragen, in dessen Mitte
das Wort Jood für âºJudeâ¹ zu lesen war. Im Büro von Juffrouw Frank wurde ein Riesenkarton vom Jüdischen Rat 11 abgegeben - randvoll mit diesen Stoffsternen. Juffrouw Roet regte sich am meisten darüber auf, dass sie aus so billigem Material gefertigt waren: »Die können unmöglich mit in die Wäsche, die färben bestimmt ab!« Also mussten wir sie vor jeder Wäsche abtrennen und danach wieder mühselig annähen. Es war verboten, sie nur mit einer Sicherheitsnadel zu befestigen. Mir machte es nichts aus, so einen Stern zu tragen. Zu Jutta meinte ich einmal: »Kein Grund sich zu schämen.« Ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, warum es die Deutschen darauf anlegten, uns unübersehbar von allen anderen Niederländern zu unterscheiden.
Lange, sehr lange hatten wir schon keine Nachricht mehr von Mutter und Jossel aus Frankfurt. Ich machte mir Sorgen deshalb, sagte aber nichts zu Jutta. Nun kam auf einmal ein Brief von Tante Rosa aus dem Frankfurter Heim an Jutta und mich; darin stand nur, dass wir uns immer an sie wenden könnten, wenn wir etwas bräuchten. Wir verstanden nicht. Was sollte das bedeuten?
Wir gingen zu Tante Meta, die uns mit Tränen in den Augen öffnete. »Meine Schwester und eure Mama sind abgeholt worden...«, stammelte sie.
»Woher weiÃt du das?«
Sie drückte uns stumm eine Karte in die Hand, auf der ich neben einer mir unbekannten Handschrift sofort die von Mutter erkannte. Nur zwei Sätze hatte sie notiert: »Jossel und ich sind in einem Zug nach Osten und
hoffen, dass euch diese Karte erreicht. Uns geht es so weit gut.« Ich erschrak. Jetzt hatten wir gar keine Anschrift mehr von Mutter. Nach Osten... wo würde das sein? Wie sollten wir Kontakt halten können? Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass die Wirklichkeit all meine Befürchtungen wegen der fehlenden Anschrift längst in den Schatten gestellt hatte. Alles war viel schlimmer.
Ab Anfang Juli 1942 kamen die ersten schriftlichen Aufrufe âºzum Arbeitseinsatz in Deutschlandâ¹ für die sechzehn- bis achtzehnjährigen Mädchen im Waisenhaus an. Dazu gehörten neben mir, Rosa, Suzy und Lena auch noch ein paar andere Mädchen. Jutta war vorerst nicht betroffen. Erschrocken schauten wir uns an. Was nun? Zurück nach Deutschland, wo es für uns noch viel gefährlicher war und Mutter vor beinah vier Jahren alles getan hatte, um uns auÃer Landes zu schicken?
Frau Vromen schaute einen Moment zu Boden. Dann richtete sie sich wieder auf, rückte ihre Brille zurecht und erklärte: »Ich kann noch nichts versprechen. Aber ich will alles tun, damit wir hier so lange wie möglich zusammenbleiben können.«
Auch Frau Vromen befürchtete also Schlimmstes von so einem âºArbeitseinsatzâ¹. Für mich war zunächst am schlimmsten, dass dies die Trennung von Jutta bedeutete.
Die Aufrufe zur Deportation waren nicht alle für den gleichen Tag bestimmt. An dem Tag, an dem ich dran war, musste ich vorher allein zu einer Stelle, um ein Formular abzugeben, bevor ich dann am Abend mit
Gepäck erscheinen sollte. Dort traf ich zu meiner Ãberraschung einen Jungen, der damals im November 1938 mit mir zusammen aus Frankfurt gekommen war. Er hieà Sally und wirkte inzwischen viel männlicher. Wir freuten uns trotz des traurigen Anlasses über das Wiedersehen.
»Ich muss noch mal zurück ins Heim, um meine Sachen zu holen«, erklärte ich ihm.
»Aber wir sehen uns heute Abend doch wieder?«, fragte Sally.
»Ganz bestimmt.«
Im Heim nahm mich am späten Nachmittag Frau Vromen zur Seite und sprach leise auf mich ein: »Cilly, du wirst heute Abend nicht gehen...«
»Aber...« Ich stotterte und wusste nicht, was das bedeuten sollte.
Auf jeden Fall konnte ich erst mal bei Jutta bleiben. Am Abend, als ich im Bett lag, fiel mir Sally wieder ein, der Junge, dem ich versprochen hatte, wiederzukommen. Ich hörte drauÃen leise Regentropfen ans Fenster trommeln und
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