Zu keinem ein Wort
Menschenjäger unten hören könnten. Aber die kümmerten sich nicht um uns.
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Am Abend kehrten längst nicht alle von ihren Ausflügen zurück. Frau Vromen informierte uns, dass das ganze Viertel abgesperrt sei, dass aber bis jetzt nur jüdische Männer über sechzehn willkürlich aufgegriffen worden seien. Ich war trotzdem froh, dass Jutta im Heim war und nicht irgendwo in der Stadt unterwegs. Auch am Sonntagmorgen ging die Razzia weiter. Erst Anfang der Woche hörten wir, dass rund vierhundert jüdische Männer zur Strafe für den Tod des einen NSBers mitgenommen worden waren. Lenas Vater war zum Glück nicht dabei. Aber was mit den vierhundert Männern, die es erwischt hatte, geschehen würde, war noch unklar.
Am Montag kam es zu einer Protestversammlung von rund dreihundert nichtjüdischen Amsterdamern, die einem Aufruf der Kommunistischen Partei gefolgt waren. Noch in der gleichen Nacht wurde ein Flugblatt
gedruckt und verteilt, in dem die gesamte Bevölkerung Amsterdams zu einem Generalstreik gegen die deutschen Besatzer aufgerufen wurde. 9 Und tatsächlich: Am Dienstag, dem 25. Februar 1941, fuhren keine Stra Ãenbahnen in Amsterdam und man sah vor allem am Nachmittag an vielen Orten gröÃere Gruppen demonstrierender Menschen in die Innenstadt und Richtung Norden zum Hafen ziehen. Beinahe alle Hafen- und Dockarbeiter waren dem Aufruf gefolgt und hatten den Streik zu einem ungeahnten Erfolg werden lassen, der die Deutschen völlig überraschte. Auch wenn der Streik am nächsten Tag mit Waffengewalt gebrochen wurde, so war doch deutlich geworden, wie viele Amsterdamer gegen die Judenverfolgungen waren. Rosa hatte ganz bei uns in der Nähe gesehen, wie neben dem Tramfahrer ein bewaffneter Polizist saÃ, um sicherzustellen, dass die StraÃenbahnen wieder fahren würden.
Aber was war aus den vielen weggeführten Männern geworden? Was aus dem werdenden Vater, der mit einem unserer ehemaligen Waisenmädchen verheiratet war? Einige Wochen später kamen die ersten Todesnachrichten aus dem deutsch-österreichischen Konzentrationslager Mauthausen, dessen Namen ich bis dahin noch nie gehört hatte und wohin sie alle deportiert worden waren. Das Wort âºMauthausenâ¹ wurde nun zum Inbegriff des Schreckens für uns - Mauthausen, das KZ. Nur wenige Tage vor der Geburt ihres ersten Babys erhielt auch die junge Mutter die Nachricht, dass ihr Ehemann, gerade zwanzig, den Lena und ich noch vor wenigen Wochen aus dem Büro von Juffrouw Frank hatten kommen sehen, ebenfalls âºverstorbenâ¹ sei.
Von nun an kamen beinah wöchentlich neue Verbote für Juden heraus. Es schien, als sei eine Schonfrist abgelaufen. Auch nichtjüdische Niederländer, die nicht mit den Deutschen zusammenarbeiten wollten oder gar im Widerstand aktiv waren, wurden jetzt härter angepackt.
Frau Vromen gelang es trotzdem, uns immer wieder Freude zu machen. Gegen den erklärten Willen der Direktorin setzte sie durch, dass wir am Samstag auch mal braune Strümpfe statt der ewigen schwarzen tragen durften und im Sommer bei ganz besonderen Gelegenheiten sogar mal ein buntes Kleid. Eine Weile gehörte ich plötzlich zu den auserwählten Lieblingen von Juffrouw Frank, nachdem ich bei einem Fest im Waisenhaus tüchtig mitgeholfen hatte, ein besonders gelungenes Programm zusammenzustellen. Aber ich vertraute Juffrouw Frank nicht völlig, denn man wusste nie genau, wie lange welche Stimmung bei ihr anhielt. Ich hatte damals gerade ein Tagebuch begonnen und darin auch viel von meiner Wut über sie notiert. Als sie mich nun plötzlich anderen vorzog und für alles Mögliche mit SüÃigkeiten belohnte, begann ich mich für meine Aufzeichnungen über sie zu schämen und warf mein Tagebuch ins Feuer des Küchenherds, bevor es jemand finden konnte.
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Als ich gemeinsam mit Rosa meine Abschlussprüfung in der Haushaltungsschule bestanden hatte, fürchtete ich, meine Tage nun wieder im Heim zubringen zu müssen. Durch die Vermittlung von Frau Vromen konnten Rosa und ich jedoch eine zweijährige Ausbildung zur Säug-lings
und Kinderpflegerin in der Crèche , einem anerkannten Kindertagesstätte in der Plantage Middenlaan, beginnen. Wie dankbar war ich Frau Vromen für diese Möglichkeit! Mit Freude trug ich vom ersten Tag an meine weiÃe Schwesternuniform. Auch Jutta und Tante Meta waren stolz auf
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